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»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 3
Fünfter Fastensonntag
Gegen Verletzlichkeit durch Institution und Macht – den einzelnen Menschen sehen
Lesejahr C
Beitrag zum Evangelium

Einführung


So oft müssen wir einfach funktionieren, unsere Rollen und Aufgaben wahrnehmen in Beruf und Schule, aber auch in der Familie, im Freundeskreis oder Kirchengemeinde. Doch jetzt, in dieser Stunde, brauchst du nichts zu leisten, da geht es um dich und mich, um jeden von uns. Jetzt begegnen wir Jesus Christus, der jeden Menschen ganz persönlich wahrnimmt und fragt: Was brauchst du? Ich will dich ermutigen, dich heilen und stärken. Bringen wir voll Vertrauen unser Leben zu ihm.

Kyrie-Ruf
Herr und Bruder Jesus Christus, du bist gekommen, damit das Leben der Menschen blüht. Herr, erbarme dich.
Du wendest dich den Verletzten und den Ausgeschlossenen zu. Christus, erbarme dich.
Du siehst unser Herz und unser Leben, willst auch unsere Wunden heilen. Herr, erbarme dich.

Tagesgebet

Großer Gott,
wir preisen dich. Du hast uns aus Liebe geschaffen, du hältst deine Geschöpfe im Leben Tag für Tag. Du weißt um unsere Möglichkeiten und Stärken, du weißt um unsere Verletzlichkeit. Du kennst auch unseren Egoismus, unser Machtstreben, unsere Hartherzigkeit, mit denen wir einander immer wieder verletzen.
Durch dein Evangelium hast du uns einen Weg gezeigt, heilsam miteinander umzugehen. Stärke unseren Glauben und unsere Liebe, dass wir in der Begegnung miteinander so handeln können, wie Jesus es getan hat, heilsam für uns Menschen und deine ganze Schöpfung.
Darum bitten wir durch ihn, Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn.

Liedvorschläge
Gesang zur Eröffnung
GL 267,1–2 »O Mensch, bewein dein Sünde groß«
Antwortgesang mit Ruf vor dem Evangelium
GL 69/1 »Der Herr hat Großes an uns getan« mit 69/2 (Psalm 126) und
GL 176/3 »Herr Jesus, dir sei Ruhm und Ehre«
Gesang zur Gabenbereitung
GL 456,1.3 »Herr, du bist mein Leben«
Gesang zur Kommunion
GL 209 »Du teilst es aus mit deinen Händen«
Dankhymnus/Schlusslied
GL 377,1–2 »O Jesu, all mein Leben bist du«

Vorüberlegungen

Zum Text: Joh 8,1–11 (Evangelium)

Die Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin ist erst in einer späten Phase endgültig in den maßgeblichen (kanonischen) Text des Johannesevangeliums aufgenommen worden, in einer Zeit, in der es in der frühen Kirche harte Auseinandersetzungen um den Umgang mit gebrochenen Geboten und einer angemessenen Bußpraxis ging. Gegen Kirchenväter wie z. B. Tertullian, der für Sünden wie Ehebruch den endgültigen Ausschluss aus der Kirche forderte, wird durch diese Erzählung die barmherzige Grundhaltung Jesu hervorgehoben und der Kirche als Vorbild für den Umgang mit schuldig Gewordenen gegeben.

In diesem Text geht es in mehrfacher Hinsicht darum, dass Recht, Gesetz und Logik instrumentalisiert werden, um einen Menschen zu schädigen: Einerseits ist das Leben der Frau bedroht, andererseits wird sie benutzt, um Jesus zu Aussagen zu drängen, die eine Anklage gegen ihn rechtfertigen.

Es gelingt Jesus, die Situation wieder dahin zu führen, worum es eigentlich bei den Geboten geht: Leben zu schützen und zu ermöglichen, die Würde jedes Menschen zu achten. Er führt die Beteiligten dazu, selbst als Personen ihren Platz in der Streitfrage zu finden und ihre eigene Bedürftigkeit nach Barmherzigkeit zu erkennen.

Im Rahmen der Predigtreihe über Vulnerabilität richtet die Predigt den Fokus auf die Frau im Evangelium und ihre Verletzlichkeit. Sie weist darauf hin, dass diese Verletzlichkeit eine grundmenschliche ist und damit jeden treffen kann. Sie stellt den Weg Jesu heraus als Möglichkeit, die Würde und das Interesse eines Menschen auch in einer verletzlichen Situation zu wahren.

Predigt

Die Ehebrecherin – ausgeliefert und bloßgestellt

Ausgeliefert. Bloßgestellt. Verletzlich und wehrlos. So steht diese Frau mitten unter den Männern. Nicht nur ihr Ansehen ist ihr genommen, auch ihr Leben ist in Gefahr. Und schlimmer noch: eigentlich geht es gar nicht um sie. Es geht auch nicht um ihr Vergehen, wie immer man es beurteilen mag. Es geht um einen anderen, um diesen Jesus, dem so viele zuhören, der nicht ins System passt und deshalb aus dem Weg geräumt werden soll. Nein, niemand fragt nach dieser Frau, nach ihren Bedürfnissen, nach ihren Rechten, ihrer Würde. Niemand schützt sie. Sie ist ganz und gar ausgeliefert, bloßgestellt, verletzlich, wehrlos.

Ein grundmenschliches Phänomen, damals wie heute

Sie ereignet sich in einer anderen Zeit und anderen Kultur, diese Geschichte aus dem Evangelium. Und doch verstehen wir sie sofort. Denn die Verletzlichkeit dieser Frau ist die Verletzlichkeit eines jeden Menschen zu jeder Zeit. Es könnte auch uns treffen.

Auch heute geschieht es, dass Menschen um der Interessen und Machtspiele anderer willen schutzlos ausgeliefert dastehen, verletzlich und wehrlos. Sicherlich und zu Recht denken wir dabei zuerst an geflüchtete Menschen an Europas Grenzen, die dort in schlimmsten Verhältnissen ausharren müssen, weil Machthaber sie instrumentalisieren, weil politische Interessen und Abhängigkeiten wichtiger sind als sie. Oder auch an Angehörige von Minderheiten oder politisch Andersdenkende in vielen Ländern dieser Welt, denen mitsamt ihren Familien ihre Rechte genommen werden oder gar ihr Leben. Ausgeliefert, bloßgestellt, und niemand schützt diese Menschen in ihrer Verletzlichkeit.

Doch solche Erfahrungen gibt es nicht nur im globalen Weltgeschehen. Auch in unserer Gesellschaft und auch in der Kirche erleben sich Menschen als ausgeliefert. Ausgeliefert, weil sie verletzlich und wehrlos sind, und ausgeliefert noch mehr, weil sie dazuhin die Erfahrung machen müssen: Es geht gar nicht um mich und mein Wohl. Es geht um andere Interessen.

Wo heute Gesetz und Institution über dem Menschen stehen

Anders als an Grenzzäunen und in Arbeitslagern geht es dabei unter uns meist nicht ums nackte Überleben. Und es muss auch gar nicht skrupellose Machtgier dahinterstecken. Denn eine Gesellschaft braucht eine Vielzahl von Gesetzen und Regelungen, die für alle gelten. Sie braucht komplexe Organisationen, die vielfach verflochten sind, damit Millionen Menschen zusammenleben und ihren täglichen Bedarf decken können. Doch dem einzelnen Menschen können diese großen Gefüge oft nicht mehr gerecht werden.

Und so geschieht es auch in unserem täglichen Leben, dass Menschen sich ausgeliefert und wehrlos fühlen wie die Frau im Evangelium. Da liegt ein Patient im Krankenhaus und muss erleben, dass die Entscheidung für oder gegen eine Operation an finanziellen Interessen hängt, an der Auslastung von Personal und Geräten, dass dabei die Frage, was für ihn das Beste ist, gar nicht zur Sprache kommt. Da geht man in einer Notsituation auf ein Amt, und dort muss man nicht nur eine Nummer ziehen, man wird auch zur Nummer, zum Vorgang, der nach bestimmten Normen behandelt wird. Aber wer fragt nach meiner Not? Da fällen Manager in großen Unternehmen Entscheidungen über den Wegfall von Arbeitsplätzen, und sie fragen nicht, was das für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet, für ihre Familien und Lebenspläne.

Das sind Sachzwänge, heißt es dann; und es mag sein, dass es tatsächlich manchmal nicht anders geht. Doch ebenso wahr ist, dass es auch in Klinken und Ämtern und Betrieben Machtspiele und Egoismen gibt, dass in der Verantwortung für Geld und Ressourcen auch die Versuchung liegt, diese für die eigenen Interessen zu nutzen. Es kommt vor, dass Menschen sich hinter Regeln und Verordnungen verstecken, um nicht selbst den Kopf hinhalten zu müssen.

Und dann müssen Menschen, die doch eigentlich Hilfe brauchen, diese doppelt schlimme Erfahrung der Frau im Evangelium machen: Ich bin verletzlich, wehrlos, bloßgestellt. Und: Bei der Entscheidung, was geschieht, geht es gar nicht um mich und meine Not.

Lernen von Jesus: Den Blick auf den Menschen lenken

Was tun? Schauen wir auf Jesus in der Geschichte. Der Evangelist berichtet: Er schreibt in den Sand. Das ist mehr, als ein »den Kopf einziehen«, ein sich herausnehmen, um erstmal nachdenken zu können. Jesus lenkt die Aufmerksamkeit auf diese schlichte Bewegung und damit auf das Hier und Jetzt. Weg von juristischen Argumentationsketten, weg von politischen Machtspielen und Manipulationen, hin zur jetzt ganz konkreten Situation und damit zu den ganz konkreten Menschen, um die es jetzt geht. Da ist eine Frau, deren Leben in Gefahr ist. Da sind Männer, die sich instrumentalisieren lassen für eine Intrige gegen einen unbequemen Jesus. Die aber ein je eigenes Leben haben, ein Herz, ein Gewissen, die gleiche Verletzlichkeit wie diese Frau und alle, die auf dem Tempelplatz sind. Das ruft Jesus in Erinnerung, und dazu genügt ihm dann dieser eine entscheidende Satz: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.«

Mit anderen Worten: Es geht um euch persönlich. Hört auf, euch zu verstecken hinter Gesetz und Tradition, hinter der vermeintlichen Stärke von Gruppen und Parteien. Fragt euch: Wie stehe ich, ganz persönlich, zu dieser Frau?

Die Wende gelingt, und die Situation kann heilsam werden, und das nicht nur für die Frau, sondern auch für ihre Ankläger, für alle Beteiligten.

Ein anspruchsvoller Blickwechsel

Das können wir von Jesus lernen: Um den Menschen in seiner Verletzlichkeit zu schützen, gilt es, ihn wahrzunehmen, in seiner Einmaligkeit, in seiner Verletzlichkeit und Bedürftigkeit. Es gilt zu fragen: Was wird gerade diesem einen Menschen gerecht?

Solche Zuwendung zum Menschen ist eine unerhörte Herausforderung, das wissen Pflegekräfte in Kliniken und Heimen ebenso wie Mitarbeitende in Ämtern und Behörden. Wie groß ist oft der Zeitdruck, wie zwingend Regelungen und Erwartungen. Doch wir alle wissen auch, welchen Unterschied es macht, wenn es gelingt. Wie zutiefst gut es tut, wenn dich jemand in verletzlicher Situation als Person wahrnimmt und nicht als Fall XY. Selbst, wenn er uns nicht helfen kann, so nimmt er uns doch nicht unsere Würde. Das macht den Unterschied, auf den es ankommt.

Den Blickwechsel in alltäglichen Begegnungen üben

Es lohnt sich also, von Jesus zu lernen. Und das gilt für uns alle, nicht nur für die, die helfende Berufe ausüben, in Politik oder Gesellschaft Einfluss haben oder in schwierigen Situationen entscheiden und handeln müssen. Die heilsame Grundhaltung gegenüber den Mitmenschen können wir in jeder Begegnung einüben, auch in Familie und Nachbarschaft, beim Einkaufen oder in der Schule. Wie Jesus den Blick und die Gedanken ins Hier und Jetzt lenken. Bewusst wahrnehmen: Wer steht da jetzt vor mir? Wie geht es diesem Menschen wohl? Vielleicht nachfragen... Und wenn er etwas von mir braucht, nicht fragen: Wie bekomme ich das schnell geregelt? Hat er überhaupt einen Anspruch an mich? Sondern: Was ist gut für ihn, für sie? Und dann, mit ebenso achtsamem Blick auf mich selbst: Kann ich diesem einen Mitmenschen etwas von dem geben, was er braucht?

Solcher Umgang mit den Mitmenschen braucht Zeit und Kraft. Und die sind im Alltag oft knapp. Doch vielleicht ist es möglich, in dieser Fastenzeit zumindest einem Mitmenschen diese heilsame Erfahrung zu schenken: Du bist kein Mittel zum Zweck. Du bist kein Störfaktor. Du bist keine Nummer. Du zählst. Für mich. Für Gott.

Fürbitten
»Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.«

- Großer Gott, mit diesem Wort Jesu im Ohr kommen wir mit unseren Bitten zu dir. Wir wissen um unsere Schwächen und unsere Schuld, doch wir vertrauen auf dich und deine Barmherzigkeit.
- Nimm dich aller Menschen an, die zu Opfern ungerechterMachtverhältnisse werden, denen schuldlos alles genommen wird. Hilf den Regierenden, das Wohl der ihnen anvertrauten Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.
(GL 266 »Bekehre uns, vergib die Sünde, schenke, Herr, uns neu dein Erbarmen«)
- Wir beten auch für die Menschen, die vor Krieg, Terror oder Armut auf der Flucht sind und an den Grenzen Europas stranden. Stärke sie in ihrer Not. Gib ihnen Helfer, die sie als Menschen wahrnehmen und ihre Würde schützen.
- Wir beten für alle, die in ihrem Beruf hilfebedürftigen Menschen begegnen. Erfülle sie mit Kraft und Geduld, dass sie die Menschen wahrnehmen und ihnen nach ihren Möglichkeiten beistehen können.
- Wir beten für Menschen, die durch ihre Mitmenschen bloßgestellt
und verletzt werden. Heile die Wunden ihrer Seele. Stärke in ihnen die Gewissheit, dass sie deine geliebten Kinder sind und bleiben.
- Wir beten für alle, die in den Herausforderungen ihres Alltags den Mitmenschen nicht mehr achtsam begegnen können. Lass sie Erholung finden und neue Achtsamkeit für sich und ihre Nächsten.
- Wir beten für unsere kranken und gebrechlichen Mitmenschen und für alle, die sich um sie kümmern. Hilf ihnen zu guten, heilsamen Begegnungen.

Gott, in der Begegnung mit Jesus finden die Menschen Heilung, Versöhnung und neuen Glauben. Du schenkst auch uns diese heilsame Begegnung. Du traust uns zu, dieses Geschenk an die Mitmenschen weiterzugeben. Dir bringen wir Lobpreis und Dank, heute und alle Zeit. Amen.

Stefan Möhler

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