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Die Inhalte
der Zeitschrift
»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 1
23. Sonntag im Jahreskreis
Wächter
Lesejahr A
Beitrag zur Lesung

Einführung


Wann haben Sie sich das letzte Mal über etwas aufgeregt und gleich darauf losgeschimpft und kritisiert? – Und dann vielleicht später gedacht: Das war schon überzogen, ziemlich polemisch. Oder: Da bin ich eigentlich völlig falsch gelegen.
Es ist wichtig, Position zu beziehen oder Kritik zu üben, wenn etwas in der Familie, in der Arbeit, in der Gesellschaft falsch läuft. Aber oft ist es hilfreich, erst einmal über eine Sache zu schlafen oder in aller Ruhe die eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen, bevor ich das Wort ergreife. Wo wir unbedacht oder maßlos reagiert und andere womöglich dadurch verletzt haben, bitten wir Gott und einander um Vergebung. Aber ebenso, wo wir hätten reden sollen und es nicht getan haben.

Predigt

Zum Text: Ez 33,7–9 (1. Lesung)

Denkanstöße in schwierigen Zeiten


Im Rahmen der Baden-Württembergischen Literaturtage im vergangenen Jahr hielt der Journalist und Autor Dr. Heribert Prantl einen Vortrag zum Thema »Die Kraft der Hoffnung – Denkanstöße in schwierigen Zeiten«. Mit scharfer Zunge und klaren Worten skizzierte er den in Europa wieder aufkommenden Nationalismus, den Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserem Land, das Versagen der Politik gegenüber einem zügellosen Kapitalismus und das narzisstische und Menschen verachtende Auftreten von Trump und Konsorten. Er warnte, wie all das Demokratie, Menschenrechte und Europa bedrohe. Zugleich machte er Hoffnung und zeigte, wie Einzelne, die aufstehen, die Stimme erheben und sich solidarisieren, dem etwas entgegenhalten und unsere Werte und Überzeugungen verteidigen können. Als Zuhörer stand man ständig in einer Spannung: auf der einen Seite das drohende Szenario, für das wir selbst verantwortlich sind, der Verlust von gewohnten Sicherheiten, auf der anderen Seite Hoffnungsspuren, Umkehrbewegungen, die zum Teil schon im Gang sind.

Der Wächter Ezechiel …

Für mich sind solche Menschen wie Heribert Prantl Wächter, wie sie uns in der heutigen Lesung begegnen. Solche Philosophen, Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler, die Unheil kommen sehen und es klar und deutlich benennen, sind zugleich aber Hoffnung und machen Mut. Genau wie Ezechiel. »Du aber, Mensch, zum Wächter habe ich dich gemacht dem Hause Israel«, spricht Gott zum Propheten. Seine Aufgabe ist klar, wie aus den vorausgehenden Versen hervorgeht. Er sagt, was er kommen sieht: das Schwert, das über das Land kommt. Im Kontext des Ezechiel-Buches: den Untergang des Landes durch feindliche Mächte. Seine Verantwortung ist groß: Würde er nicht warnen, hätte das Volk keine Chance zu reagieren, umzukehren. Dafür würde er zur Rechenschaft gezogen werden. Entscheidend ist – und das ist eine Parallele zu unserer Zeit, dass er nicht nur irgendein Schicksal ankündigt, sondern das, was da an Unheil kommt, mit dem sündhaften Verhalten seines Volkes in Verbindung bringt. Weil es vom Weg des guten Lebens abgewichen ist und Gottes Gebote nicht mehr beachtet, droht dieses Unheil.

… warnt wie die Wächter unserer Tage

Vermutlich kommen Ihnen jetzt beim Zuhören schon allerlei Gedanken oder Fragen. Wovor müsste denn ein solcher Wächter heute warnen? Was ist es, wo wir sagen würden: Da weichen wir Menschen vom guten Leben ab, da handeln wir falsch, da leben wir nicht mehr nach den Geboten Gottes? Und: Das hat Konsequenzen. Das schadet dem Einzelnen, unserem Zusammenleben, unserer Gesellschaft. Das zerstört unsere Lebensgrundlagen. Manche Themen könnten wir schnell benennen und wären uns dabei einig. Themen, die auch Heribert Prantl angesprochen hat. Unser derzeitiger Lebensstil und unsere Art des Wirtschaftens hat keine Zukunft, wenn es wirklich gerecht zugehen und wenn die Schöpfung auch für kommende Generationen Lebensraum sein soll. Ein Nationalismus, der ab- und ausgrenzt, dient nicht dem Frieden, sondern gefährdet ihn. Das Verbreiten von Unwahrheiten, Hetze und Drohung in den sozialen Medien bedroht unsere Demokratie und unser Zusammenleben. Bei anderen Fragen, wenn es zum Beispiel um Partnerschaft, sexuelle Selbstbestimmung und Lebensschutz geht, liegen die Meinungen dagegen manchmal sehr auseinander, auch in unserer Kirche.

Der Wächter ist ein Hörender

Was hat dem Propheten Ezechiel Gewissheit und Mut gegeben, sodass er sein Wächter-Amt so entschieden ausüben konnte? Zum einen steht er in enger Beziehung zu Gott. »Hörst du aus meinem Mund ein Wort, so hast du sie vor mir zu warnen.« Der Wächter ist kein Twitterer, der zu allem und jedem sofort seinen Kommentar abgibt. Kein Kulturpessimist, der sich in Pauschalkritik an dieser bösen Welt ergeht. Kein Besserwisser, der die Wahrheit gepachtet hat. Kein Panikmacher, der mit Übertreibungen und Verschwörungstheorien Stimmung macht. Aber auch kein Lobbyist, der nur bestimmte Interessen verfolgt. Kein politisch Korrekter, der niemandem wehtun will. Der Wächter Ezechiel ist ein Hörender. Einer, der genau hinhört und hinschaut. Der sich Zeit lässt und warten kann. Der die Stimmen zu unterscheiden versucht, bis er Gewissheit hat. Als Beter die Gewissheit, dass er ein Wort aus Gottes Mund gehört hat. Und das muss er weitersagen, aussprechen, um der Menschen, um des Lebens willen. Zum anderen – und das ist ein entscheidender Punkt bei Ezechiel an dieser Stelle – kann er Hoffnung machen. Wenn das Volk im Blick auf die Schwere der Schuld und die Ausweglosigkeit der Situation fragt: »Wie sollen wir [da noch] leben?« (Ez 33,10), sagt er im Namen Gottes: »Ich begehre nicht den Tod des Bösewichts, sondern dass ein Böser umkehre von seinem Weg und leben bleibe« (Ez 33,11). Weil es ganz konkrete Möglichkeiten gibt, sein Leben zu ändern, wie er ein paar Verse später zeigen wird. Das ist die Botschaft des Ezechiels: Wo Menschen umkehren, ihr Handeln ändern, gibt es, selbst durch Katastrophen hindurch, neues Leben.

Die Wächter-Aufgabe der Kirche

Das ist für mich im Grund auch die Botschaft von Heribert Prantl bei seinem Vortrag. Eine Hoffnungsbotschaft, die er mit biblischen Hoffnungsgeschichten in Verbindung gebracht hat. Solche Wächter braucht das Land. Zu allen Zeiten. Aber es braucht dann auch Menschen, die hören, die sich berühren lassen, die nachdenken, umdenken, umkehren. Die Kirche hat seit jeher diese Wächter-Aufgabe inne. In einzelnen charismatischen Personen, die mutig aus ihrem Glauben heraus die Stimme erheben. In Weckrufen, die Verbände, Werke oder Synoden verfassen – wie zuletzt die Amazonassynode im Blick auf die sozialen Fragen und eine integrale Ökologie. Und sie schafft Räume, wo Menschen hören, nachdenken, sich austauschen, sich ihrer Verantwortung bewusstwerden und nach neuen Wegen suchen können. Nicht nur im Gottesdienst. Sondern in Gruppen und Angeboten, wo die Nöte und Herausforderungen dieser Zeit und unseres Lebens in den Blick genommen werden. Wichtig dabei ist: Wir müssen nicht zu allem und jedem, nicht immer und sofort etwas sagen. Es reicht, da die Stimme zu erheben, wo wir wachsam und aufmerksam hingeschaut und hingehört haben und im geistlichen Austausch und im Gebet ein klares Wort gehört haben, das nicht nur mahnt und warnt oder womöglich etwas verteufelt, sondern das ganz konkrete Wege zum Leben zeigt.

Fürbitten
Gott, beim Propheten Ezechiel sprichst du: »Tut der Schuldige kein Unrecht mehr, dann wird er gewiss am Leben bleiben und nicht sterben.« So bitten wir dich:

- Erwecke Wächter, Menschen, die zur Umkehr rufen und Wege aufzeigen, wo wir als Kirche, als Christinnen und Christen lau und unglaubwürdig geworden sind.
(GL 229 »Herr, erhebe dich, hilf uns und mach uns frei«)
- Schicke Wächter, Menschen, die zur Umkehr rufen und Wege aufzeigen, wo politisch engagierte Frauen und Männer durch Hetze, Drohung und Gewalt bedroht und in ihrer Würde verletzt werden.
- Berufe Wächter, Menschen, die zur Umkehr rufen und Wege aufzeigen, wo unsere Gesellschaft das Leben vom Beginn bis zu seinem Ende nicht konsequent schützt.
- Sende Wächter, Menschen, die zur Umkehr rufen und Wege aufzeigen, wo in dieser Welt ungerechte Strukturen herrschen und der Frieden bedroht ist.

Gott, du wachst über dein Volk, damit es seinen Weg durch diese Zeit findet. Darauf vertrauen wir. Dafür danken wir dir durch Jesus Christus, der uns begleitet, und im Heiligen Geist, der uns ermutigt, heute und alle Tage unseres Lebens. Amen.

Klaus Kempter

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