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Die Inhalte
der Zeitschrift
»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 2
Fünfter Fastensonntag
»Bindet ihn los« – leben diesseits und jenseits der Todesgrenze
Lesejahr A
Beitrag zum Evangelium

Einführung


Mit allem, was uns immer wieder gefangen und gefesselt hält, was uns lähmt und uns belastet, kommen wir in dieser Stunde zum Gottesdienst zusammen und hören im Evangelium: »Lazarus, komm heraus« und»Bindet ihn los«. Das ist Zuspruch und Anspruch an alle, die in der Spur Jesu seinem Weg nachgehen und auch heute hören dürfen: »Wer an mich glaubt, wird leben.«
Um Bestärkung in diesem Glauben und für diesen Weg bitten und beten wir in der großen Dankfeier unserer sonntäglichen Gemeinde, mit der wir diese neue Woche beginnen.

Kyrie-Ruf
Herr, Jesus Christus, du rufst uns zu: Kommt alle zu mir, die ihr müh selig
und beladen seid.
Herr, erbarme dich.
Du versprichst uns: Ich lebe und auch ihr sollt leben.
Christus, erbarme dich.
Du ermutigst uns: Ich bin bei euch alle Tage.
Herr, erbarme dich.

Tagesgebet
Gott,
du hast mit uns deine Geschichte mit den Menschen fortgeschrieben und zugleich neu begonnen. Du willst uns »im aufrechten Gang« – Entbunden von allem, was uns niederdrückt, uns klein macht, was uns abschneidet von unserer Kraft und unseren Fähigkeiten zum Leben; bereit, das Risiko und den Schmerz zu tragen, ohne den Leben nicht möglich ist; offen für alles Nährende, das du uns zukommen lässt auf unseren Wegen. Wir bitten dich:
Rufe uns immer heraus und verhelfe in uns immer wieder neu dem Leben zum Durchbruch.
Darum beten und bitten wir durch Christus unseren Bruder und Herrn. 1

Liedvorschläge
Gesang zur Eröffnung
GL 269 »Du Sonne der Gerechtigkeit«
Antwortgesang mit Ruf vor dem Evangelium
GL 437 »Meine engen Grenzen« und GL 176/3 »Herr Jesus, dir sei Ruhm und Ehre« mit Vers Joh 11,25a–26b (Kantorenbuch)
Gesang zur Gabenbereitung
GL 365 »Meine Hoffnung und meine Freude«
Gesang zur Kommunion
GL 210 »Das Weizenkorn muss sterben«
Dankhymnus/Schlusslied
GL 378 »Brot, das die Hoffnung nährt«

Vorüberlegungen


Zum Text: Joh 11,1–45 (Evangelium)

Geleitet durch das Thema der Predigtreihe dieser österlichen Bußzeit»Grenzen überschreiten« bin ich im Internet auf die Dankesrede von Paul Tillich gestoßen, die er anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 23.09.1962 gehalten hat »Auf der Grenze«. Ihre Aktualität hat mich angeregt und der Zusammenhang zur »Auferweckung des Lazarus« hat mich inspiriert und motiviert. Und in einem Bibelgespräch in kleiner Runde sind wir hängengeblieben am »Bindet ihn los«. Es hat nicht viel gebraucht, um im Heute zu sein, auch im Auftrag und Selbstverständnis einer heutigen Kirche.

Predigt

Entbindung 1

Mit der Entbindung wird ein Mensch ins Leben entlassen, kommt er zur Welt. War er seither mit der Nabelschnur in lebendiger Lebensverbindung mit der Mutter, so wird er jetzt durch die Ent-bindung mehr und mehr, Schritt für Schritt und Atemzug für Atemzug der in ihm lebenden Lebenskraft überantwortet. Entbindung ist der erste Schritt des Menschen aus dem dunklen Schutzraum ins helle Licht, das Überschreiten der Grenze von dort nach hier. Strampelnd hatte das Kind sich schon bemerkbar gemacht. Und jetzt wird es freigelassen und mehr und mehr losgelassen. Der erste Schrei des Neugeborenen sagt es: Hört und seht, ich lebe mein Leben. Entbunden und frei.

Entbindung 2

»Bist du es, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?«, hatte einst Johannes der Täufer fragend und zweifelnd seine Jünger zu Jesus geschickt. Er war sich nicht mehr sicher, ob nach all dem, was sich mit und durch Jesus ereignet hatte, er auf der sicheren Seite war, dass dieser der erwartete Befreier und Erlöser ist.

Und das ist die bleibende Antwort Jesu auf diese ja auch heute noch aktuelle Frage, welche Bedeutung er für die Menschheit und die Welt hat: »Sagt dem Johannes, sagt es in eure Zeit hinein, was ihr seht und hört: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet« (Mt 11).

Jesus verweist also nicht auf Lehrsätze und Gebote, sondern er erinnert daran, was Menschen in der Begegnung mit ihm erfahren haben. Es sind Menschen, die durch Krankheit und Not ausgegrenzt waren, Frauen und Männer, die durch Schicksalsschläge verwundet und aus der Gemeinschaft der Lebenden hinausgestoßen wurden, Mütter und Väter, die um ihre toten Kinder, Schwestern, die um ihren verstorbenen Bruder weinten, Menschen, die lebend in Angst und Verzweiflung wie gebunden und gefesselt waren – diese Menschen waren ihm ein Herzensanliegen, er berührte sie, richtete sie auf, heilte sie und befreite sie aus ihrem Gebundensein in die Vorboten und Zonen des Todes. »Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben«, sagte er denen, die verwundert und sogar entsetzt darüber waren, wie er um dieser Menschen willen Grenzen religiöser Vorschriften und Gebote auslegte und ihnen neue Lebensperspektiven eröffnete. Und zwar schon jetzt.

Entbindung 3

»Jesus, Freund, wärst du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben, warum kommst du erst jetzt, warum musste er jetzt sterben?«

Dieses bohrende und schmerzende »Warum« angesichts des Sterbens und des Todes uns nahestehender Menschen. Dieses »Wo warst du, Gott?« nach Katastrophen, Unfällen, ausgebrochenen Krankheiten von heute auf morgen, die zum Tod führten. Dieser Vorwurf: »Hättest du nicht verhindern können?«, tausendfach und millionenfach geklagt, geschrien und geweint, weil alles menschliche Leben an diese Grenze kommt, die unser Leben begrenzt: die Grenze, die der Tod markiert. An diese Grenze stoßen wir immer wieder, kämpfen gegen sie an, lehnen uns gegen sie auf und können am Ende doch nichts anderes als sie hinnehmen. Und selbst Jesus weint angesichts des Todes seines Freundes Lazarus. Nichts ist schwerer für uns Menschen, als diese unüberschreitbare Grenze zu akzeptieren, hinzunehmen und zu verstehen. Deshalb die Versuche, das, was so sicher ist in unserem Leben, dass wir sterben müssen, hinauszuschieben, nicht wahr haben zu wollen. Wer will schon leben mit der Aussicht, sterben zu müssen? »Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben«, sagt Jesus am Grab seines Freundes. Und wenn ich es nicht glauben kann? Weil mich die Angst vor dem Tod und dem Sterben einengt und mir die Hoffnung nimmt. Weil sie an der Todesgrenze zusammentreffen: der Tod und das Leben. Und wo der Tod ist, ist das Leben nicht mehr. Das ist doch unsere Erfahrung, unser Schmerz und unsere Trauer, das sind unsere Fragen und Zweifel.

Entbindung 4

Das Evangelium des heutigen Tages zeigt uns Jesus an dieser letzten Grenze menschlichen Lebens. Und er tritt auf wie immer, wo es um diese Lebensbegrenzungen geht. Immer ruft er den toten Menschen zu sich: den Blinden, den Tauben, den von schwerer Krankheit Befallenen, den unter seiner Schuld Zusammengebrochenen, den in unterschiedlichsten Todeserfahrungen Gebundenen. Er ruft sie bei ihrem Namen, der ihre Einmaligkeit, ihre Würde, ihr Menschsein anzeigt. »Lazarus, komm.« So ruft er die Menschen zu sich, er, in dem sich Gottes Ja und Amen aus dem Himmel in die Erde gebunden hat und damit das endlich begrenzte Leben an Gottes ewiges Leben gebunden hat. »Was willst du, dass ich dir tun soll?«, ruft er den schon lebendig mit den Todeszeichen Gezeichneten zu. Und er gibt selber die Antwort: »Ich will, werde sehend; ich will, steh auf und geh; ich will, werde rein; ich will, dass du wieder bei deinem Vater und deiner Mutter bist, steig herab von deiner Todesbahre.« Denn das jenseitige Leben Gottes, das in Jesus ins Diesseits unserer Welt und unseres Lebens kommt, schenkt dem Verstorbenen Leben, das ihm durch nichts und niemand genommen werden kann. So geschieht Heil und Heilung, Entbindung aus den Fesseln des Todes.

Entbindung 5

»Da kam der verstorbene Lazarus heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen.«

Und Lazarus, der Verstorbene, kommt heraus. Er ist nicht tot, ein für alle Mal, aus und vorbei, das finale Ende, wie wir sagen, weil ja noch nie jemand zurückgekommen ist.

Binden lösen, Gebundenes befreien: Das ist die Lösung und die Erlösung, so geschieht die Versöhnung zwischen Leben und Sterben über die Grenze des Todes hinweg. Das ist die Grenze der Grenze (Ulrich Schaffer). Es geschieht dadurch, dass der Tod entgrenzt wird durch den, der in seinem Leben aus dem Tod entbindet und nach seinem Sterben in seiner Auferstehung dem Menschen Anteil an seinem Leben schenkt – für jetzt und immer.

Auch heute? Auch durch uns?

Entbindung 6

»Die Werke, die ich tue, werdet auch ihr tun. Und ihr werdet größere tun.« Das traut, mutet und spricht Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern vor seinem Abschied zu. Es ist kein leeres Versprechen. Denn es ist gedeckt durch den, der selber im Tod war und auferstanden ist. Und deshalb gilt seither, was Franz von Assisi so betet und singt: »Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod. Ihm kann kein Mensch entrinnen. Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen. Denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.« Der zweite Tod: Tot ist eben nicht tot. An der Grenze des Todes wartet für uns das Leben. Wir werden noch einmal entbunden. Der Leib begrenzt uns in diesem Leben. Im Tod aber werden wir entbunden zu einem unbegrenzten Leben bei dem, der unser Leben ist, wie wir beim Gottessohn und Menschenbruder Jesus ablesen können.

Die Gemeinschaft derer, die auf Jesu Namen getauft sind, die Kirche, ist in dieser Spur und Nachfolge Jesu dann der Ort, wo Entbindung aus den tödlichen Zwängen und Bedrohungen geschieht, wo Menschen befreit und herausgeholt werden aus Mächten und Strukturen des Todes. Kirche ist in Jesu Namen dort, wo Menschen, die mit ihr in Berührung kommen, aufstehen, aufleben und aufatmen können, weil sie Lebensräume finden, die ihnen Zukunft eröffnen und sie von Lasten befreien. Kirche steht an der Bahre und an den Gräbern derer, die verzweifelt nach dem Sinn ihres Lebens fragen, weil sie vertrieben und verlassen sind und lebend schon gefangen sind in unheilvolles Elend und Not. Kirche steht dann auf gegen alle und alles, was Menschen unterdrückt und fesselt und ihnen ihre Lebensmöglichkeiten raubt. Bindet sie los – ins Leben. Ruft Jesus uns zu.

Fürbitten
Herr Jesus Christus, du rufst uns aus den Todesängsten ins Leben. Wir tragen unsere Bitten vor dich:

- Wir kommen zu dir mit den Tränen all derer, die in diesen Tagen einen lieben Menschen verloren haben und jetzt allein sind und um ihn trauern.
(Christus, höre uns. – Christus, erhöre uns.)
- Wir tragen vor dich die Schreie derer, die vom Tod bedroht sind in den Kriegsgebieten unserer Welt und die keine Hoffnung mehr haben.
- Wir bitten um deinen Geist des Trostes und der Bestärkung für alle, die verzweifelt sind und für ihr Leben keine Perspektive mehr sehen.
- Wir vertrauen dir die Menschen an, die in Schuld gefangen und verstrickt sind und sich das Leben nehmen wollen.
- Wir empfehlen dir alle, die Menschen in den letzten Stunden und Tagen ihres Lebens begleitend zur Seite stehen.

Herr des Lebens, du bist in unserer Mitte als der, der lebt und uns sein Leben verheißt. Dir sei Lob und Ehre, jetzt und in Ewigkeit.
Amen.


Impuls für die Woche
»Meine enge Grenzen …« – das Lied GL 437 eignet sich gut als Wegbegleiter durch die Woche.
Täglich kann eine Strophe Anstöße zur Besinnung geben und einladen,
das Gesagte durch Erfahrungen aus meinem alltäglichen Leben zu konkretisieren.
Da nur vier Strophen getextet sind, kann für die Tage 5 bis 7 »weitergedichtet« werden:
Zum Beispiel:
• meine innere Unruhe, mein Getriebensein …
• meine Zweifel, mein Nicht-Beten-Können …
• meine Tränen, meine Schmerzen …
Ein passendes Abschlussgebet könnte jeweils sein:
GL 6/3 »Du Herr, gibst mir immer wieder Augenblicke der Stille …«
Wolfgang Tripp


1 Nach: Barbara Deifel-Vogelmann, in: Wolfgang Tripp (Hg.), Anstiftungen zum Leben, Schwabenverlag, Ostfildern 2017.

Wolfgang Tripp

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