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Die Inhalte
der Zeitschrift
»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 3
Karfreitag
Lesejahr A – B – C
Tagesgebet
Allmächtiger, ewiger Gott,
durch das Leiden deines Sohnes
hast du den Tod vernichtet,
der vom ersten Menschen
auf alle Geschlechter übergegangen ist.
Nach dem Gesetz des Natur
tragen wir das Abbild des ersten Adam an uns;
hilf uns durch deine Gnade,
das Bild des neuen Adam in uns auszuprägen
und Christus ähnlich zu werden,
der mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
(Messbuch, 41)

Oder:

Gott, unser Vater,
du hast uns nicht der Macht der Finsternis überlassen,
sondern uns in deinem Erbarmen erlöst.
Schütze, befreie und heilige uns durch deinen Sohn,
der für uns gelitten hat und gestorben ist
und den du aus dem Tod gerissen hast,
Jesus Christus, unsern Herrn,
der in der Einheit des Heiligen Geistes
mit dir lebt und wirkt in Ewigkeit.
(Tagesgebet Karfreitag. In: Die Feier der Eucharistie im Katholischen Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland. München 1995, 44)

Einführung
Von den alttestamentlichen Patriarchen wird erzählt, dass sie alt und lebenssatt starben. Sie waren in hohem Alter fähig, sich dem zurückzugeben, dem sie gesegnete Jahre verdankten.
Jesus stirbt nicht diesen Tod: Sein Leben erscheint zu kurz, jäh gewaltsam abgebrochen und unvollendet. Seine Fähigkeiten sind in unseren Augen nicht ausgeschöpft, seine Wege nicht zu Ende gegangen. Mit etwa dreiunddreißig Jahren stirbt er den Tod der Unschuldigen, den Tod derer, die um Lebensfülle betrogen werden, den Tod derer, die unter die Räder kommen, den Tod, der Gerechte unverdient trifft und verzweifeln lässt.
Wir hätten allen Grund, ihn nur zu beklagen, wenn er nicht durch seinen Tod Gemeinschaft stiftete. Die Gemeinschaft all derer, die Gott unter ihrem Kreuz bis in den Tod die Treue halten können, weil sie, dem Gekreuzigten folgend, Gott trauen.
Unsere Feier vom Leiden und Sterben Christi beginnt mit dem Hören: Wir hören das prophetische Lied vom leidenden Gottesknecht, der alles auf sich nimmt, Krankheit und Schmerzen, für uns. Wir hören dann die frühchristliche Deutung Christi als dem Hohenpriester, der endgültig, ein für allemal die Versöhnung mit Gott schenkt. Und wir hören schließlich das Zeugnis des vierten Evangelisten, der Jesu Kreuzweg und Tod am Kreuz als Erhöhung des Herrn verkündet.

Liedvorschläge
Gesang nach der 1. Lesung
GL 163 »Aus tiefer Not ruf ich zu dir« oder
GL 807 (Diözesanteil Freiburg und Rottenburg-Stuttgart)
»Aus Herzensgrund ruf ich zu dir«
Gesang nach der 2. Lesung
GL 192 »Durch seine Wunden sind wir geheilt«
Gesang während der Kreuzverehrung
GL 182 »O du hochheilig Kreuze«
Dankhymnus/Schlusslied
GL 178 »Wir danken dir, Herr Jesu Christ« oder
GL 813 (Diözesanteil Freiburg und Rottenburg-Stuttgart)
»Des Königs Fahne tritt hervor«

Fürbittgebet
Große Fürbitten (Messbuch, 42ff)

Hinführung zur Kreuzverehrung
Das Kreuz wird jetzt in unsere Mitte getragen: »Seht das Holz des Kreuzes, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt«.
Es war nur einmal in der Zeit zwischen 30 und 33 unter Kaiser Tiberius wenige Stunden aufgerichtet auf Golgota, vor den Toren Jerusalems. Aber auf diesen Augenblick haben alle Zeiten gewartet. Auf diesen Ort hin liefen ahnungslos alle Wege zu, die seit dem ersten Tag der Menschheitsgeschichte die Menschen weinend und mit blutigen Füßen gegangen sind. Hier ist der Höhepunkt und Wendepunkt. Hier tut Gott selbst mitten in unserer Geschichte endgültig und unwiderruflich sein Ja kund, sein siegreiches Ja für uns und für die ganze Welt: »Kommt lasset uns anbeten!« Unser Kreuz-Leben hat einen Weg und eine Hoffnung.

Die fehlende Mitte

Vorüberlegungen
Zum Text: Joh 18,1 – 19,42 (Passion)

Bei der Vorbereitung auf die Karfreitagsliturgie und die Karfreitagspredigt fiel mir ein Gebetszettel zum Bußgottesdienst mit dem Titel »Die fehlende Mitte« in die Hand, herausgegeben vom Deutschen Liturgischen Institut. Er zeigt einen in schwarzer Farbe gedruckten Linolschnitt von Heinz Seeber mit demselben Titel: Die drei Kreuze auf Golgota, das mittlere erkennbar gewaltsam nach hinten umgestürzt, so dass nur noch ein Stumpf zu erkennen ist und davor die am Boden liegende Inschrift des Kreuzes Jesu: INRI.
Das eindrucksvolle Bild führte mich zu einer Novelle von Reinhold Schneider, die den Linolschneider wohl zu seinem Kunstwerk inspiriert hat: »Die Schächer ohne den Herrn«. In ihr wird eben dieses eindrückliche Bild vor Augen geführt, das stehen blieb, als Bilderstürmer in Flandern 1566 »sich auch an einer mächtigen alten Kreuzigungsgruppe vergriffen und das mittlere Kreuz umstürzten, während sie die Kreuze der Schächer stehen ließen … So entstand dieses Sinnbild, das der Menschengeist vielleicht nicht hätte ersinnen können: die Schächer ohne den Herrn. Eine furchtbare Lücke klaffte zwischen den beiden Kreuzen; nun war auch der Reumütige verloren, dem der Herr das Paradies verheißen hatte; denn der Herr, der ihn dahin führen wollte, war ihm entrissen. Und in welcher Verlorenheit stand das Kreuz des Lästerers! Der Mittler war verschwunden, die Mitte war leer; vergebens blickte der eine zur Höhe, kehrte sich der andere verkrampften Leibes zur Erde«.
Die Predigt möchte die im Glauben bekannte Erlösung durch das Kreuz Jesu Christi aus der fehlenden Mitte heraus, gewissermaßen ex negativo aufleuchten lassen.

Predigt

Das Kreuz wird heute in die Kirchen hereingetragen …

als Kreuz Jesu Christi enthüllt und zur Anschauung, zum Mitleid, zur Verehrung aufgerichtet: »Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt«.
Jedes Jahr aufs Neue, an jedem Karfreitag wird uns das Kreuz so vor Augen gestellt, zugemutet, dass wir das Aufrichten des Kreuzes Jesu damals auf Golgota, Jesu elendes Sterben nachvollziehen mögen; dass wir erahnen mögen, was damals geschah, glaubend verinnerlichen mögen, was das damals aufgerichtete Kreuz seither bedeutet für uns, für die Welt.

Seit ich denken kann …

vollziehe ich den Karfreitag mit: das fastende Vorbereiten, oft den Kreuzweg am Vormittag, die Feier vom Leiden und Sterben Christi am Nachmittag und die Karmette zum Ende des Tages, das Klagen über den toten Herrn am Kreuz.
Und doch hat mich ein Bild tief berührt, das Reinhold Schneider in seinem Buch »Macht und Gnade« schildert. Ein dramatisches Bild, das mir mit großer Wucht das Kreuz Jesu Christi nahebrachte, mitten in mein Leben hineinstellte: Zuweilen, so schreibt der badische Schriftsteller der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, »(z)uweilen gestaltet die Geschichte Bilder, die mit der Kraft von Sinnbildern über die Zeiten stehen bleiben … Ein Bild dieser Art wurde sichtbar im flandrischen Aufruhr des Jahres 1566. Mit einem Haß, der im tiefsten Grunde [trotz aller politischen Gärungen, trotz aller geistigen, politischen und sozialen Umwälzungen jener Zeit] rätselhaft bleibt …, wandten sich die aufgewühlten Volksmassen gegen die herrlichen alten Kirchen des Landes.«
Die Aufrührer vergriffen sich auch an einer mächtigen alten Kreuzigungsgruppe: Sie stürzten das mittlere Kreuz um, während sie die Kreuze der Schächer stehen ließen. »So entstand dieses Sinnbild, das der Menschengeist vielleicht nicht hätte ersinnen können: Die Schächer ohne den Herrn. Eine furchtbare Lücke klaffte zwischen den beiden Kreuzen; nun war der Reumütige verloren, dem der Herr das Paradies verheißen hatte; denn der Herr, der ihn dahin führen wollte, war ihm entrissen. Und in welcher Verlorenheit stand das Kreuz des Lästerers! Der Mittler war verschwunden, die Mitte war leer; vergebens blickte der eine zur Höhe, kehrte sich der andere verkrampften Leibes zur Erde … Die Kreuze standen in einer grundlosen Nacht, im reinen Nichts … Der Hoffnung des einen wie der Lästerung des anderen antwortete das vollkommene Schweigen. Sinnlos waren die so spät erwachte Reue und Hoffnung, sinnlos war auch der Hohn; niemand hörte auf diese Stimmen zwischen Himmel und Erde, und da das Ja niemanden mehr fand, an den es sich wenden konnte, so war auch das Nein gleich einem nie gesprochenen Wort.«

Ein ungeheueres Bild, weil es so treffend ist

Das Kreuz bestand ja lange vor Jesus als Kreuz der Schächer, das Menschen sich ausgedacht hatten zur Strafe, zur Demütigung, als Marter- und Schandpfahl. Jesus hat das Kreuz nicht in die Welt gebracht.
Und die Kreuze bestehen weiter, längst vor und nach dem Untergang des römischen Reiches, das diese furchtbare Folter auch an Jesus exerzierte; die Kreuze bestehen weiter, unter denen Menschen leiden, stöhnen und klagen, schreien oder verstummen, unter denen Menschen schwer tragen, stolpern und zusammenbrechen. Die Kreuze des Leids, der Krankheit, der unverständlich treffenden Tode, die Kreuze der jahrelangen Unversöhntheiten und Streitereien, der rätselhaften, bösen Gewalt durch Menschen an Menschen, wie sie jüngst in Winnenden ausbrach, aber ja nicht nur dort, und dann das Kreuz der zweifelnd, verzweifelnden Trauer. Oder die Kreuze der Kurzarbeit, der Arbeitslosigkeit, der lähmenden Ängste, die in dieser Zeit immer mehr Menschen gefangen nehmen. Die Kreuze der Armut, der suchthaften Verhängnisse …
Die Kreuze bestehen weiter, auch nachdem die Menschen glaubten, der Herr sei nicht mehr unbedingt nötig, er sei aus der Welt gedrängt worden wie die Kreuze aus den Klassenzimmern und stillschweigend aus vielen Wohnungen. Der schändlich Gekreuzigte sei unzumutbar, verletze das ästhetische Empfinden, das kindliche Gemüt oder störe einfach nur die vermeintliche Aufgeräumtheit und Humanität der Welt. Die Kreuze bleiben da! Sie waren vor dem Kreuz Jesu und lasten nach ihm auf vielen Schultern und wunden Rücken.

Gott hat das Kreuz nicht erfunden!

Aber er hat es angenommen und auf sich genommen. Seit dem Tod Jesu am Kreuz, seit dieses Kreuz aufgerichtet wurde, an dem sich der Gottessohn festnageln ließ mitten zwischen ertragenem Leid und Sich-Aufbäumen im Leid, mitten zwischen Reue und Hohn, zwischen Demut und Zynismus, mitten zwischen Hoffnung und wütender Resignation, zwischen vertrauendem Ja und rebellierendem Nein, seit dieses Kreuz Gottes aufgerichtet wurde, haben alle ein Gegenüber, ein mitleidendes Gegenüber in ihrem Leid, mit ihren Kreuzen, an ihren Kreuzen, unter denen sie leiden, von denen sie nicht loskommen.
Nach oben, nach Gott ausschauende, bittende Hoffnung hat ein Gegenüber und klagende, verzweifelt schreiende Abwendung hat ein Gegenüber: Gott, der Mensch geworden in Jesus von Nazaret den Weg ans Kreuz geht und nun unter den Kreuzen mitgeht; Gott, der Mensch geworden in Jesus dem Christus, die Einsamkeit am Kreuz durchlebt und durchstirbt, schreiend, zweifelnd, bis zum letzten Atemzug in die Hand Gottes, und nun an den Kreuzen, den vielfältigen und unzähligen mitleidet und mitstirbt. Die Mitte ist nicht leer! Die Hoffnung geht nicht ins Leere, auch die Reue nicht oder das mühsame Ja, und die Klage geht nicht ins Nichts, die Verzweiflung nicht, die Resignation nicht, die zornige Ablehnung, das sich aufbäumende Nein unter den Kreuzen und angesichts der Kreuze. Sie gehen nicht ins Nichts! Gott hält mit dem Kreuz Jesus Christi allem stand, mitten drin. Gott hat den Kreuzen eine Mitte gegeben, dem Ja und dem Nein seinen Sinn, der ganzen heillosen Welt eine heilsame Verankerung, denn er hält stand mitten drin, zwischen Ja und Nein, zwischen dem gebeutelt Schwankenden auch und durch den Tod hindurch zum neuen Leben aus der Hand Gottes, der die Kreuze kennt. Gott hält mit dem Kreuz Jesu Christi allem heilsam rettend stand.

Wir werden es morgen in der Osternacht und am Ostermorgen hören

Die Kreuzigungszeichen, die Wundmale sind es, an denen die Auferstehungszeugen den Auferstandenen erkennen; über die Wundmale tastet sich der zweifelnde Thomas an den Auferstandenen heran und findet zum Glauben: Der Gekreuzigte, gerade der Gekreuzigte, gerade der, der so elend gestorben ist, wie ein Mensch nur sterben kann, wird auferweckt zum Leben. Das ist unsere Hoffnung, unsere Lebenshoffnung, das ist unsere haltende Mitte, das ist unsere Verankerung im Leben, in einer Welt auch der Kreuze.

Clemens Stroppel

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