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»Dienst am Wort«
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Leseprobe 3
Erntedank
Bedenken – gedenken – danken – Dienst an der Zukunft
Thematischer Beitrag

Einführung

Im Ökumenischen Gottesdienst zum Reformationsgedenken im März haben die Kirchenleitungen im Dom von Hildesheim eindrucksvoll ausgesprochen, für welche Geistesgaben die katholische Kirche und die Kirchen der Reformation der jeweils anderen dankbar sein können. Dieses Dank-würdige zu erinnern verbindet sich mit dem urbiblischen Verständnis des Erntedanks: Es ist ein Erinnern der Geschichte Gottes mit den Menschen, das in die Zukunft weist. Die Bibel, die uns diese Geschichte bezeugt, gehört zu den Früchten des Erntealtars. Der Dank enthält zugleich Anfrage und Auftrag, ob wir in unserem Leben dem Samen des Wortes Gottes einen fruchtbaren Boden bereiten.

Im Angesicht alles Trennenden zwischen den Kirchen bitten wir um den Geist, der uns durch das gemeinsame Sakrament der Taufe geschenkt ist:

Kyrie-Ruf

Was befleckt ist, wasche rein, Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält.
Herr, erbarme dich unser.
Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt.
Christus, erbarme dich unser.
Gib dem Volk, das dir vertraut, das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit.
Herr, erbarme dich unser.

Tagesgebet

Gott, du Geber aller guten Gaben.
Im Angesicht der Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit erkennen wir die Sorge für deine Geschöpfe. Du verbindest uns mit all den Menschen, die den Samen deiner Liebe durch ihre Arbeit zur Fruchtbarkeitgebracht haben. Dein Ja zum Leben schenkt uns auch die Gabe, uns nicht selbst beweisen und rechtfertigen zu müssen. Wir danken dir für diese Freiheit, als Kinder Gottes leben zu können.
Lass unser Leben zum Lobpreis deiner Liebe und für das Wohl der Mitmenschen fruchtbar werden.
Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.

Liedvorschläge

Gesang zur Eröffnung
GL 466 »Herr, dich loben die Geschöpfe« oder
GL 465,1–2 »Das Jahr steht auf der Höhe«
Antwortgesang mit Ruf vor dem Evangelium
GL 37/1 »Der Herr ist mein Hirt« mit 37/2 (Psalm 23) und GL 175/1 »Halleluja«
Gesang zur Gabenbereitung
GL 186 »Was uns die Erde Gutes spendet«
Gesang zur Kommunion
GL 425 »Solang es Menschen gibt auf Erden«
Dankhymnus
GL 452,1–3 »Der Herr wird dich mit seiner Güte segnen«
Schlusslied
GL 405 »Nun danket alle Gott«

Predigt


Zu den Texten: Dtn 8,12–18 (1. Lesung) und Mk 4,1–9 (Evangelium)

»Was werden die Menschen in 300 Jahren über uns sagen?« Mit dieser Frage überraschte ich zuweilen meine Schüler im Religionsunterricht der Klassen 8–10. Ich erklärte die Frage dann schon noch näher. Welches Erbe hinterlassen wir den Kommenden? Ein Blickwechsel – denn manchmal, so sollten die Schüler sich bewusst machen, sind wir verständnislos darüber, was wir über unsere Vorfahren erfahren. Mir ging es so mit dem Buch »Tod des Doppeladlers – Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg«. Zweimal legte ich das Buch beiseite, irritiert ob der Einstellung, ja Begeisterung, mit der Politiker, Soldaten und Bevölkerung damals in den Krieg zogen.

Die eingangs gestellte Frage kennt noch eine andere Version: Lernen wir aus der Geschichte? Lernen aus der Geschichte heißt ja: Erinnerung ist Dienst an der Zukunft. Und eben dies – Erinnerung als Dienst an der Zukunft – kennzeichnet den Erntedank in biblischem Verständnis. Im Land der Bibel mit verschiedenen geografischen Bedingungen und Klimazonen gab es und gibt es bis heute drei Erntezeiten – und drei Erntedankfeste: Pessach, Schawuot (Wochenfest) und Sukkot (Laubhütten). Alle drei Erntefeste verbinden den Blick auf den Erntealtar mit dem Lernimpuls aus einer geschichtlichen Erfahrung. Der Lernimpuls besteht darin, dass sich eine geschichtlich durchaus offene, mehrdeutige Situation als Glaubenssituation »offenbart«.

Wird die Erinnerung an die geschichtlichen Ereignisse zu einem Dienst an der Zukunft? Führt sie, motiviert sie zum Erntedank?

»Aus eigener Kraft« – Selbstwert und Verdanktsein gehören zusammen

»Wenn du in das Land kommst, in dem Milch und Honig fließen, mit Quellen, Wasserbächen und Strömen … und wenn du gegessen hast und satt geworden bist … wenn deine Rinder, Schafe und Ziegen sich vermehren … dann nimm dich in acht und denk nicht bei dir: Ich hab mir diesen Reichtum aus eigener Kraft und mit eigener Hand erworben. Denk vielmehr an den Herrn, deinen Gott: Er war es, der dir Kraft gab, weil er seinen Bund so verwirklichen wollte

Aus eigener Kraft??
Der Mönch Martin Luther hat sich in seinem Asyl auf der Wartburg nicht am Erntedank abgearbeitet, sondern an der – kurzgefassten – Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Aber es lief auf dasselbe hinaus: Aus eigener Kraft? Löst dies im Anblick des Erntealtars hier, des täglichen Tisches zuhause, der Konzernbilanz, der neuen Zahlen zum Exportüberschuss, des Aufrufs der UNESCO zur Hungerkatastrophe in Afrika oder des Rentenbescheids einen Impuls des Gedenkens aus: aus eigener Kraft? Oder dürfen wir diese Felder der Arbeit und der Teilhabe an der Ernte überhaupt in Verbindung bringen mit dem Glaubensringen von Martin Luther?

Die Frage nach Rechtfertigung entschlüsselt sich als Kernfrage unseres Lebens – als Frage nach dem Sinn des Lebens. Auf Gott bezogen, wird sie als unzeitgemäß empfunden – das Sprechen vom »gnädigen Gott« – oder versteckt sich hinter dem »unzeitgemäßen« eine Verlegenheit um die Rechtfertigung des eigenen Lebens, die dazu bringt, die Frage nach Gott zu verdrängen?

Denn alltagsgegenwärtig ist die Frage, das »Bedürfnis« nach Rechtfertigung ja schon. Auf der großen Bühne: Wie schnell folgt die Forderung nach Rücktritt, wenn ein Politiker seine Entscheidung oder sein Verhalten nicht mehr rechtfertigen kann, wie viele Rechtfertigungen gibt es auf den Ebenen der Verantwortung im VW-Abgasskandal? Auf der kleinen Bühne, in Ehe und Familienleben: »Ich habe ja nur …«, »Ich wollte ja nur …«, »Du hast aber …« So fangen viele Sätze an, mit denen wir uns rechtfertigen. Und schließlich auf der nach innen verlegten Bühne: Wie sich rechtfertigen, wenn einen der Partner verlassen hat, wenn ein Lebensprojekt gescheitert ist? Wenn einer sein Leben vor sich selbst nicht mehr rechtfertigen zu können meint? Mancher Suizid ist Ausdruck dieser Selbstverurteilung.

Wie also umgehen mit den Rechtfertigungszwängen »aus eigener Kraft«? Martin Luther gibt die Rechtfertigung ab – an Gott. Doch eben dies wird heute als »unzeitgemäß« empfunden. Denn das ist das herrschende Selbstverständnis, sich selbst rechtfertigen zu können und daraus sein Selbstwertgefühl und eine Unzahl von Ansprüchen gegenüber »Gott und Welt« abzuleiten.

Martin Luther gibt ab – an Gott. Mit welchem Grund? Es ist die »Geschichte« Gottes mit den Menschen, die uns in Jesus von Nazaret begegnet. Dieser hatte am Kreuz nichts, aber auch gar nichts mehr in der Hand, um sich – für seine Liebe! Zu den Sündern! – zu rechtfertigen. In der Auferstehung rechtfertigt Gott dieses Leben Jesu in Wort und Tat – um des Menschen willen, der sich nicht mehr selbst »beweisen« muss. Er muss sich nur eines zugestehen, dass er sich diesen Selbstwert »schenken« lassen muss. Dieses Leben aus einer neuen Gewissheit des Selbstwerts kann nicht »Besitz« werden, sondern ist Frucht des Glaubens.

Dieses Gottes- und Menschenbild ist uns gemeinsam mit unseren evangelischen Mitchristen. Die Kirchenleitungen haben dies in einer gemeinsamen Erklärung 1999 in Augsburg bezeugt – nach einem langen Weg gegenseitiger Annäherung. Denn über der gegenseitigen unseligen »Rechtfertigung« und eigenen Rechthabens in den Reformationswirren war dieser gemeinsame Grund in Frage gestellt – mit vielen Begründungen. Einer davon ist für unsere Rückkehr zum Erntealtar wichtig.

Die Geschichte des Samenkorns: Erinnerung – verdankt leben: Zukunft

Wie können wir aus dieser Möglichkeit der Rechtfertigung leben? Gewiss, wir haben wie Martin Luther die herausragenden Gestalten der Geschichte des Glaubens: Abraham, wie von Paulus dargestellt, und Paulus selbst: »Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.« Doch können wir aus dieser Erinnerung für die Zukunft lernen? Wir können nur »aus Glauben zum Glauben« kommen: Darum legen wir jetzt die Bibel als das Zeugnis dieses Geschenks der Rechtfertigung zu den anderen Früchten.

(An dieser Stelle der Predigt überträgt der Lektor oder die Lektorin die Bibel an den Erntealtar.)

Martin Luther hat über diese unersetzliche Wertschätzung der Bibel freilich etwas übersprungen. Das nachzuholen ist auch Impuls des diesjährigen Gedenkens, Impuls des Evangeliums. Denn die Bibel ist auch schon »Erntedank« angesichts der hundertfältigen Frucht des Samens des Reiches Gottes. Mit diesem Samen geschieht all das in unserem Leben, was die Bildsprache Jesu anschaulich darstellt. Die Bibel ist Zeugnis der »lebendigen Tradition« des Erntedanks, also Zeugnis davon, was geschieht, wenn dieser Same – auch bei allen anderen Möglichkeiten – in unserem Leben einen guten Boden findet. Wie jede dieser Früchte hier am Altar einen offenen Weg des Samens erzählt und die Geschichte unzähliger Menschen, so bezeugt uns die Bibel die Geschichte Gottes mit dem Menschen: das Geschenk, die Frucht der Rechtfertigung – Grund zu danken.

Fürbitten
Gott des Lebens, der Anblick des Erntealtars erinnert uns an den Weg jedes Samenkorns und die Arbeit unzähliger Menschen. Wir kommen mit den Fragen unserer Welt und Zeit zu dir:

- Wir beten für alle, die ausdrücklich Verantwortung tragen imöffentlichen Leben, und alle, die ihnen dies anvertraut haben: Verbinde sie in der Erinnerung, wie sehr wir einander verdankt sind.
- Wir beten für alle, die um die Früchte ihrer Mühe gebracht werden durch ungerechte Behandlung, Diskriminierung und Unterdrückung und ihre Würde rechtfertigen müssen.
- Wir beten für die christlichen Kirchen: dass sie sich unter das Wort Gottes stellen und seinem Samen mit seiner Kraft einen fruchtbaren Boden bereiten.
- Wir beten für unsere Verstorbenen: Bringe die Mühe ihres Lebens zu endgültiger Frucht und sei du die Antwort auf ihre offengebliebenen Fragen nach Annahme, Gerechtigkeit und Liebe.

Was immer ihr tut, in Worten oder in Werken, tut es im Namen Jesu und danket Gott, dem Vater, durch ihn. Amen.

Robert Widmann

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