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Die Inhalte
der Zeitschrift
»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 1
Achter Sonntag im Jahreskreis
Lesejahr A
Beitrag zur Lesung

Einführung
In einem Wahljahr wird der Blick auf Umfragewerte fast pathologisch. Auch wenn betont wird, dass Umfragen ja nur windige Stimmungen wiedergeben, sie werden doch ernster genommen, als zugegeben wird. Wie stehe ich da? Was hält man von mir? Wie urteilt man über mich? Wahrscheinlich mehr, als wir es uns eingestehen, bewegt uns, wie wir »ankommen«. Und umgekehrt: Wie schnell sind wir selbst am Urteilen über andere?!
Im Evangelium und in den Gemeinden des Paulus spielt das Thema »Richten« eine wichtige Rolle, wie wir heute in der Lesung hören werden …

Die »Last des Richtens«

Predigt
Zum Text: 1 Kor 4,1–5 (2. Lesung)

Wie wichtig ist es Ihnen, wie Sie von anderen beurteilt werden? Das Evangelium spricht vom »Sorgen«: »Was werden wir essen, was werden wir anziehen …?« Wahrscheinlich ist für die meisten Menschen die viel größere Sorge: Wie komme ich an? Wie werde ich eingeschätzt? Die Frage, wie man im Urteil der anderen dasteht, wie man ankommt, bewegt wohl nicht nur Parteien oder Politiker, die im Umfragetief stecken, sondern auch uns selbst ganz persönlich.

Vom Urteil der Menschen …

Nun steht es Politikern sicher gut an, auf das Urteil der Menschen zu hören – und es ist nicht unbedingt eine Tugend, sich um die Meinung anderer nicht zu scheren. Die Frage aber ist, wie abhängig man sich vom Urteil anderer macht. Paulus jedenfalls schreibt an die Gemeinde in Korinth – die seine Autorität in Zweifel stellt und ihm große Schwierigkeiten macht:
»Mir macht es nichts aus, wenn ihr über mich urteilt – ich urteile auch nicht über mich selbst; ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, aber deshalb bin ich noch nicht gerecht gesprochen. Der Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht.« Und der Maßstab, nach dem ich beurteilt werde, ist nicht, ob ich den Menschen gefalle, sondern »ob ich mich in Gottes Auftrag treu erweise«.

… zum Urteil Gottes

Ist es nicht ein tief befreiender Gedanke, sein Leben so sehen zu können: Ich bin nicht abhängig davon, was andere von mir halten; ich muss die Meinung anderer nicht fürchten. Ich darf mich dem Urteil Gottes, seinem Gericht überlassen, das mir die volle Wahrheit über mein Leben zeigen wird, aber mich auch in unendlicher Liebe und Barmherzigkeit richten, ja auf-richten wird.
Freilich: Das Urteil der Menschen ist nah, hautnah – und Gottes Urteil scheint fern. Aber wenn wir unseren Lebensinhalt einzig darin sehen, bei den Menschen geschätzt und gut bewertet zu werden, wenn wir den Wert unseres Lebens nur in der Summe unserer Erfolge, unserer Beliebtheit und unseres Einflusses sehen, sind wir am Ende nur noch Sklaven fremder Erwartungen. Und die weitere Folge ist, dass wir ständig dabei sind, uns mit anderen zu vergleichen, andere zu bewerten, über andere zu urteilen, die doch bestimmt nicht so viel schaffen, es weniger genau nehmen, weniger Lob verdienen usw.
Je mehr wir uns der Liebe Gottes überlassen, die alles Richten hinter sich lässt, umso befreiter können wir selbst leben – und umso freier werden wir davon, über andere zu urteilen.

Die Last des Bewertens

Bei den Wüstenvätern (die im 4. und 5. Jahrhundert in der ägyptischen Wüste lebten und vielgesuchte Ratgeber des Lebens waren) findet man das Wort: »Über andere zu richten, ist eine drückende Last.« Damit meinen sie weniger die Last, Zeugnisse ausstellen zu müssen: Lehrer für Schüler, Vorgesetzte für Mitarbeiter. Das ist freilich oft auch eine drückende Last; denn je ernster einer dieses Geschäft nimmt, umso schwerer fällt ihm, andere Menschen zu bewerten, weil ein Zeugnis schwarz auf weiß letztlich immer Buchstabe ist und einem Menschen in seiner Einmaligkeit nie ganz gerecht werden kann.
»Über andere zu urteilen ist eine drückende Last« – die Wüstenväter meinen damit etwas anderes, nämlich die vertrackte Neigung in uns, andere zu bewerten: nach ihrem Aussehen, ihrer Art, zu reden, sich zu geben, zu glauben; nach ihrer Herkunft, ihrer Intelligenz, ihrem Alter … Was wissen wir denn wirklich vom Innersten eines Menschen??
Das Richten verengt den Blick, ja verengt das Leben. Ängste melden sich: Wie schneide ich daneben ab? Läuft mir der Andere den Rang ab? Muss ich mich verstecken, verstellen? Es ist sicher auch diese Art von Sorge, die Jesus in der Bergpredigt meint: Sorgt euch nicht um euer Leben! Das Leben wird zum Schattenboxen, zum Punktesammeln und Punktevergeben; es wird kurzatmig und angespannt. Ja: Über andere zu richten »ist eine drückende Last«!

Vom Richten befreit

Wohl dem also, der von der »Last des Richtens« über andere frei ist und sich und andere dem barmherzigen Urteil Gottes überlassen kann!
»Richtet also nicht vor der Zeit; wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten.«

Fürbitten
»Suchet zuerst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit«, sagt Jesus im Evangelium. So bitten wir Gott, unseren Vater:

- Für alle, die Verantwortung tragen in der Politik, in der Wirtschaft, im Arbeitsleben: um den Weitblick und die Kraft, gute Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und durchzusetzen.
(Herr, erhöre uns.)
- Für die Kirche in allen Konfessionen und Gemeinschaften: um ein tieferes gegenseitiges Verstehen und um Kraft zum gemeinsamen Zeugnis in der Welt.
- Für die von Erdbeben und Flut Getroffenen und alle, die bisher in ihrer Not alleingelassen sind: um Öffnung der Wege, damit Hilfe und Helfer ankommen können.
- Für alle, die über andere urteilen müssen: um den Geist des Rates und der Gottesfurcht.
- Für uns selbst, wenn wir über andere reden: um Befreiung von Vorurteilen und um ehrliche Selbsterkenntnis.

Denn du führst uns in die Weite – in die Weite deines Herzens: durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.

Thomas Keller

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