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der Zeitschrift
»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 3
Fest der Heiligen Familie
Lesejahr A
Auf den Schultern von Riesen

Predigt

Zum Text: Sir 3,2–6.12–14 (3–7.14–17a) (1. Lesung)

Manche Bibelstellen machen es einem Prediger sehr schwer, nicht der Versuchung zu erliegen, den Zuhörern mit erhobenem Zeigefinger moralinsauer ins Gewissen zu reden und sie mit Rat geschlagen nach Hause zu entlassen. Ich bin sicher, dass gerade der Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach oft genug dazu gebraucht und missbraucht wurde: Wehe euch Kindern, wenn ihr die Eltern nicht ehrt – der Herr wird euch strafen, jetzt und erst recht auf ewig! – Einbahnstraßenpredigt mit dem Ziel des schlechten Gewissens.

Vielleicht wäre eine solche Donnerpredigt ja auch wieder einmal angesagt angesichts bedenklicher Töne, die sich in die großen gesellschaftlichen Debatten mischen. Zwar gibt es in unserer Gesellschaft weithin einen empfindlichen Sensus dafür, dass der Generation, die mit ihrer Kraft die Welt aufgebaut hat, in der wir leben, die Grundlage für ein würdiges Alter nicht genommen werden darf. Gott sei Dank gibt es ihn – noch. Manche Untertöne und auch offen und aggressiv vorgetragene Anklagen in der Rentendiskussion – so kontrovers und problembewusst sie zu Recht geführt wird – zeigen jedoch, dass er gefährdet ist. Kriminell wird es, wo sich der Gedanke der Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit hineinschleicht und den höchsten und fundamentalsten Wert unseres Zusammenlebens, die Menschenwürde, in Frage stellt. Hier darf und muss die Kirche dagegenhalten, und sie darf und muss es bisweilen auch klar und lautstark und donnernd tun.

Im Bereich der Familie, aus dem wir alle kommen, dürfte eine solche Moralpredigt jedoch nur dazu geeignet sein, die Beziehungen zu vergiften. Nichts würde der Intention von Jesus Sirach mehr widersprechen. Wenn wir noch einmal genau in den Text hineinhören, dann ist da die Rede von Schätzen, die zu sammeln sind, von der Freude an den eigenen Kindern, von einem langen Leben und – in der Eingangspassage zu diesem Abschnitt, den uns der Ausschnitt der Lesung leider vorenthält – davon, dass es uns gut gehen soll. Es geht also darum, den Reichtum in den Beziehungen zu entdecken und aus ihnen für unser Leben zu schöpfen.

Dabei ist Sirach keineswegs blauäugig. Er weiß, dass das Miteinander der Generationen oft geprägt ist von Spannungen. Dass es schwer knirschen kann im alltäglichen Zusammenleben; dass es mitunter kaum erträgliche Konflikte gibt. Und er weiß, dass die Sorge für die ältere Generation eine große Kraftanstrengung bedeuten kann, die Menschen bis an ihre Grenzen bringt, und manchmal auch darüber hinaus. Sirach fasst es in dem Satz, der für unsere Ohren so überholt und sperrig klingen mag: Die Liebe zu den Eltern wird als Sühne für die Sünden eingetragen.

Und dennoch: Sirach ist davon überzeugt, dass der Reichtum, den es aus einem aus der Haltung der Achtsamkeit bestimmten Umgang mit der älteren Generation zu gewinnen gibt, die Anstrengung aufwiegt. Worin besteht er? Seit dem Mittelalter wird für den Bereich der Wissenschaft das Gleichnis von den Zwergen überliefert, die auf den Schultern von Riesen stehen: Das, was die Gelehrten von gestern erarbeitet haben, ist die Grundlage, auf dem die Forscher von heute aufbauen. Niemand braucht das Rad neu zu erfinden. In gewisser Weise lässt sich dieses Gleichnis auf den Bereich der (weiteren) Familie übertragen: Zwar müssen wir alle unsere eigenen Erfahrungen und auch unsere eigenen Fehler machen, aber das Wissen, das in der älteren Generation »aufgespeichert« ist, kann uns helfen, unser Leben zu verstehen und Orientierung zu finden. Denn an ihrem Leben lässt sich ablesen und erfahren, wie Leben funktioniert: Wie Beziehungen gelingen oder misslingen, wie Krisen gemeistert werden können oder man an ihnen zerbrechen kann, wie es immer wieder Rückschläge oder überraschende Wendungen zum Guten gab, wie Gott erfahren oder an ihm verzweifelt werden kann.

Nun sind nicht alle älteren Menschen weise – manche sind weit entfernt davon. Aber sie alle haben viel gelebtes Leben hinter sich und sie alle tragen damit einen Schatz in sich, den es zu heben gilt. Das Fest der Hl. Familie lädt uns ein, diesen Reichtum neu zu entdecken. Es lädt uns ein, neugierig zu sein auf die Geschichten der älteren Generation, neu ins Gespräch über das Leben zu kommen, einander durch Zuhören und Achtsamkeit neu zu begegnen und neu zu verstehen – und uns etwas sagen zu lassen aus dem Erfahrungsschatz der »Alten«. Nur eines sollten auch sie nicht vergessen: Sie haben zwar nur Zwerge auf ihren Schultern sitzen, aber manchmal schauen die ein kleines Stückchen weiter.

Fürbitten
Lebendiger Gott, deine Sorge, deine Nähe und deine Liebe gilt allen Menschen. Wir bitten dich um die Erfahrung deiner Nähe:

- In der Kirche, die uns als große Familie Christi eine Heimat geben und uns in ihm zusammenführen will.
- In den Familien, die in allen Schwierigkeit und Freunden gemeinsam durch das Leben und den Alltag gehen.
- In den Freundschaften, die uns verbinden, unser Leben reich machen und uns helfen, Probleme und Sorgen zu bestehen.
- In unseren Einsamkeiten, in denen wir uns nach Beistand sehnen.
- Im Gedenken an unsere Verstorbenen, die durch ihr Leben unser Leben reich gemacht haben und für die wir jetzt auf Geborgenheit bei dir hoffen.

Allmächtiger Gott, du bist unsere Hoffnung und unsere Zuflucht. Wir danken dir und preisen dich durch Christus, unseren Herrn. Amen.

Sabine Schratz

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