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Die Inhalte
der Zeitschrift
»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 1
15. Sonntag im Jahreskreis
Samariter heute?
Lesejahr C
Beitrag zum Evangelium

Einführung


»Wer ist mein Nächster?«, wird der Gesetzeslehrer Jesus im Evangelium fragen. Zuerst meine Familienangehörigen, dann die weitere Verwandtschaft, dann die Angehörigen meines Volkes, meines Landes und so weiter in wachsenden Kreisen. So antwortet nicht nur der amerikanische Vizepräsident in vermeintlicher Berufung auf Augustinus.
Die Erzählung Jesu lässt erkennen: Mein Nächster ist der Mensch, der unter die Räuber gefallen ist. Der Hilfsbedürftige am Wegesrand, wer auch immer es ist: Viel weiter als die beschriebenen Kreise!
Aber Jesus stellt die Frage anders, fragt aus der Sicht des Hilfsbedürftigen: »Wer ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?« Und die Antwort darauf wird lauten: »Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat.«
Jesu Kommentar des alttestamentlichen Gebots verpflichtet uns nicht darauf, Nächste zu »haben«, sondern anderen Nächste zu »werden«.

Kyrie-Ruf

Herr Jesus Christus, der Weg von Jericho nach Jerusalem wird vom Weg des Sehens und Vorübergehens zum Weg des Sehens und Mitleidens.
Herr, erbarme dich.

Dein Weg nach Jerusalem wird vom Weg deiner Erniedrigung zum Weg deiner Erhöhung.
Christus, erbarme dich.

Dein Weg zu Menschen wird ein Weg der Barmherzigkeit, des MitleidensGottes, unsere Rettung.
Herr, erbarme dich.

Oder
GL 165 »Send uns deines Geistes Kraft«

Tagesgebet

Gott,
denen, die irregehn, zeigst du,
damit sie den Weg wiederfinden,
das Licht deiner Wahrheit:
Gib allen, die Christen heißen,
zu suchen, was diesem Namen entspricht,
und was unchristlich ist, zu verweigern.

(vgl. Stock, A., Orationen. Die Tagesgebete im Jahreskreis neu übersetzt und erklärt. Regensburg 2011, 55)

Liedvorschläge


Gesang zur Eröffnung
GL 481 »Sonne der Gerechtigkeit«

Antwortgesang mit Ruf vor dem Evangelium
GL 35/1 »Ein Tag sagt es jubelnd dem andern« mit 35/2,8–15 (Psalm 19) und GL 175/4 »Halleluja«

Gesang zur Gabenbereitung
GL 470 »Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht«

Gesang zur Danksagung
GL 385 »Nun saget Dank und lobt den Herren«

Schlusslied
GL 453 »Bewahre uns Gott, behüte uns Gott«

Vorüberlegungen


Im heutigen Evangelium begegnet uns die älteste Jesusüberlieferung als Kommentar des alttestamentlichen Liebesgebots. Er »verpflichtet uns nicht darauf, Nächste zu ›haben‹, sondern anderen zu Nächsten zu ›werden‹, insbesondere Unglücklichen. Indem wir anderen zu Nächsten werden, erfüllen wir das Gesetz, also den Willen Gottes, und nehmen unsererseits das Anliegen und die Haltung Christi an«1.
»Ende Januar gab der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance zwei Interviews, die man als polittheologisches Pendant zu seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom [14. Februar 2025] verstehen kann.
[…] Vance wurde nach eigenen Angaben im Umfeld eines konservativevangelikalen Protestantismus religiös sozialisiert, konvertierte aber 2019 zum Katholizismus. Als eine Art Säulenheiligen, der ihn maßgeblich zur römisch-katholischen Kirche gebracht habe, beschreibt der amerikanische Vizepräsident den lateinischen Kirchenvater Augustinus von Hippo (354 bis 430). Augustinus habe ihm die ›Möglichkeit gegeben, den christlichen Glauben auf eine stark intellektuelle Weise zu verstehen‹, ließ Vance unmittelbar nach seiner katholischen Taufe im August 2019 wissen.
[…] Jetzt erwähnt er im Zusammenhang mit dem Streit über illegale Migration jeweils den von Augustinus in dessen Schriften über den Gottesstaat (De civitate Dei) entwickelten Begriff ›ordo amoris‹ und erklärte diesen wie folgt: Der Kirchenvater lehre den Christenmenschen, dieser habe ›zuerst die eigene Familie zu lieben, dann den Nachbarn, dann die Gemeinde, dann das eigene Land – und erst danach kann man sich auf die ganze Welt konzentrieren‹.
[…] Das wollte Papst Franziskus freilich so nicht gelten lassen. In seinem Brief an die amerikanische Bischofskonferenz vom 10. Februar2 wies er das von Vance vorgetragene Konzept der Ordnung der Liebe als theologisch unhaltbar zurück, ohne den amerikanischen Vizepräsidenten explizit zu erwähnen. Die christliche Liebe sei gerade ›keine konzentrische Ausweitung von Interessen, die sich nach und nach auf andere Personen und Gruppen‹ ausdehne, schreibt der Papst. Die wahre ›ordo amoris‹ könne man nur erkennen, wenn man beständig über das Gleichnis vom ›barmherzigen Samariter‹ (Lk 10,25–37) meditiere und dadurch zu einer Form der Liebe gelange, die eine ›ausnahmslos alle umfassende Geschwisterlichkeit‹ begründet.«3

Predigt

Zum Text: Lk 10,25–37 (Evangelium)

Es gibt sie mitten unter uns: …


… Menschen, die sich der Not zuwenden wie der Samariter in unserem Evangelium: Sie sind nicht einmal unbedingt Christen, vielleicht nicht einmal unsere Landsleute.
Eine sechsköpfige Familie fällt mir ein. Sie wollten das gerade 18-jährige Mädchen nicht vor die Hunde gehen lassen, dessen Mutter gestorben war und dessen Vater im Alkohol Trost suchte. Niemand war für sie zuständig: Die Schule bemängelte ihre Leistungen, die immer schlechter wurden, und wusste nicht weiter; die Verwandten jammerten über die schlimmen Zustände und wagten nicht, sich einzumischen. Da beschloss die Familie, das Mädchen bei sich aufzunehmen, obwohl sie selbst nicht viel Platz hatten.
Oder jene Frau, die sich nach vielen Tränen um ihren verstorbenen Mann ein Herz fasste und begann, Leute anzusprechen, denen es ebenso ging: Trauernde. Die Nachbarn verstecken sich: »Was soll man da reden?« Die Verwandten haben viel zu tun: »Das Leben geht weiter!« Die Freunde rufen nicht an: »Es ist immer so traurig!« Trauernde Menschen bleiben in ihrem Schmerz und mit ihren Tränen allein. Sie hatte es erfahren. Jetzt besucht sie andere trauernde Menschen: hört zu, erledigt Kleinigkeiten, tröstet, hilft zum nächsten Lebensschritt.
Ich weiß nicht, ob ich das könnte, auf beengtem Raum noch mehr zusammenrücken, um die Not eines Menschen zu lindern. Sie fühlen sich vielleicht selbst hilflos bei dem Gedanken, auf Trauernde zuzugehen. Es kann einen großen Einschnitt in die eigenen Lebenspläne und Lebensgewohnheiten bedeuten, sich auf die Not anderer einzulassen: Der Priester sah die Not und ging weiter, der Levit sah die Not und ging weiter, der Samariter, der Ausländer und Andersgläubige, der Samariter sah die Not und bückte sich (Lk 10,31–33).

Das Liebesgebot Jesu ist wirklich maßlos

Jesus beschränkt sich nicht auf Richtlinien, die erkennen lassen, wann wir genug getan haben. Damit sind wir auf uns selbst geworfen. Wir entscheiden, was wir tun wollen und was wir bleiben lassen, so hart es manchmal sein mag. Und es ist wirklich hart, jemandem die Hilfe zu verweigern, weil wir an unsere Grenzen stoßen, oder aber sie ihm zu gewähren und nicht nur Mitleid zu haben, vielmehr wirklich mitzuleiden.
Jesus benennt die Grenzen nicht. Wir sind mit unseren je unterschiedlichen Möglichkeiten auf uns gestellt. Oder positiv gesagt: Jeder ist aufgefordert, in seiner Liebe, in seinem Einsatz gegen die Not zu wachsen. Nicht leicht in einer Zeit, die von präzisen Arbeitszeitregelungen im Minutenbereich und Lohnausgleich auf Heller und Pfennig gekennzeichnet ist; in der mit Argusaugen auf die jedem zustehende Freizeit geachtet wird; in der keine und keiner zu kurz kommen möchte; in der oft mit der größten Selbstverständlichkeit zuerst »ich« kommt und dann lange nichts; in einer Zeit, in der der Druck wächst, Not und Leid, alles Nicht-Schöne, Nicht-Jugendliche, Nicht-Intelligente aus dem Leben zu verbannen.
Umso mehr braucht dabei jede und jeder eine Umgebung, die ihn stützt und trägt. Manch einer hätte die Pflege des alten Vaters übernommen, wenn der Ehepartner und die Kinder ihn unterstützt hätten. Alleine kann sich keiner dieser Aufgabe stellen. Man braucht eine Umgebung, die mitträgt. Dies ist auch zur Entlastung gesagt. Wenn der Samariter den Wirt nicht gehabt hätte, wäre die Pflege des Überfallenen so auch nicht gegangen.

Das Gleichnis Jesu will auch keine Grenzen akzeptieren, …


… die Menschen ausschließen von unserer Hilfe. Für Christen gibt es keine konfessionellen oder nationalen Grenzen, die Hilfe begrenzen, wenn Not herrscht. Wir sind vielleicht am ehesten bereit, in der eigenen Familie oder im Freundeskreis zu helfen. Sich aber auch noch für Fremde oder mir quer Kommende zu engagieren, ist schon schwieriger: für die mit anderer Sprache oder gar anderer Hautfarbe? Für die mit anderen Sitten und Bräuchen, mit anderen Tönen und Gerüchen? Für die mit anderer, womöglich sogar bedrohlicher Religion?
Aber das ist die Provokation dieses Gleichnisses: Der Samariter kümmert sich um einen Notleidenden, der nicht zu seinen Glaubensbrüdern oder Volksgenossen gehört. Die Liebe überspringt Grenzen der Religion und der Nationalität.
Es ist erfreulich, dass dieses Wissen in der Christenheit nicht ganz vergessen ist. Gerade die Kirchen, die Bischöfe, die karitativen Organisationen und viele christliche Verbände werden nicht müde, dieses Liebesgebot einzufordern. Sie beklagen, dass es bei den Asylverfahren nicht gewahrt ist, dass aus nationalen Interessen Menschenrechte verletzt werden, sie beklagen, dass aus bloßem Populismus oder unter populistischem Druck die Zuwanderung nicht geregelt wird. Auch wenn wir mit unseren Systemen und Möglichkeiten an unsere Grenzen stoßen.
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gibt ihnen Recht. Aber finden diese Stimmen genügend Unterstützung unter uns Christen? Fallen nicht auch Christen immer wieder in konfessionalistische und nationalistische Engen zurück, blasen ins Horn der Allgemeinheit. Die knappere Kirchensteuer fördert die Frage sehr: Wo engagieren wir uns als Christen? Die Entscheidung kann sich nicht an der Religion, sie muss sich an der großen Not orientieren, die gelindert werden muss. Einen anderen Maßstab verbietet unser Gleichnis vom helfenden Samariter, dem Fremden, dem Andersgläubigen.

Die innere Kraft, die den Samariter beseelt, …


… wird in dem Dialog zwischen Jesus und dem Gesetzeslehrer angesprochen. Das Leben besteht darin, dass einer lieben kann: Gott und den Nächsten wie sich selbst (Lk 10,27). Oder anders ausgedrückt: Dass er in Beziehung leben kann: zu Gott und dem Nächsten wie zu sich selbst. Auch das neue, ewige Leben besteht darin, dass einer in Beziehung leben kann: ganz mit Gott, »mit ganzem Herzen und ganzer Seele« (Lk 10,27). Geht das für Menschen, die sehr individualistisch leben? Alltagserfahrungen machen es deutlich: Heute zählt die individuelle Freiheit sehr viel. Beziehungen aber binden diese Freiheit. Leben nicht deshalb sehr viele Menschen zwar frei, aber beziehungslos oder in Beziehungskrisen? Mit Gott und dem Nächsten und sich selbst? Einsam und leer?
Jesus verkündet eine andere Lebensrichtung. Er verkündet einen Gott, der in Beziehung tritt zu den Menschen. Unser Glaube lebt von einem Gott, der mit uns einen Bund eingegangen ist. Und diesen Bund kündigt er nicht mehr auf. Das feiern wir in jedem Gottesdienst: Gott will uns als sein Volk, als Menschen, die aus der Beziehung zu ihm und zueinander leben. Jedes Gebet, das wir sprechen, ist Ausdruck dieser Beziehung und vertieft sie.
Und in unserem Alltag wird dieser Glaube gelebt, indem wir den Nächsten in seiner Not sehen und helfen, wo wir können. Indem wir dem zum Nächsten werden, der uns auf unserem Weg begegnet und unsere Hilfe braucht. Auch wenn wir über unseren Schatten springen müssen: Es ist vielleicht nur der Schatten unserer wenig leuchtenden Liebe.
Das Gleichnis aus unserem heutigen Evangelium setzt eine Erfahrung unseres Glaubens um: Wirkliche Gottesliebe setzt die Liebe und Kraft frei, sich für den zu engagieren, der in Not ist und Hilfe braucht. Für viele ist diese Gottes- und Nächstenliebe Grund ihrer versöhnten Beziehung zu sich selbst, ihrer tief empfundenen Freude und Sinnhaftigkeit. Für viele wird ihr Leben so lebendig, lebensvoll, sinnvoll!
»Jesus sagte zu ihm«, ich meine, er sagt zu uns: »Dann geh und handle genauso!« (Lk 10,37).

Fürbitten

»Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.«

Guter Gott, wir kennen dein Gebot und bitten dich:
– Hilf uns danach handeln und lass uns das Leben finden, hier und ewig. Herr, unser Gott:
(Wir bitten dich, erhöre uns.)
– Für alle, die unter die Räuber fallen, die unter dem Hass, dem Terror, den Kriegen und Vertreibungen leiden, für alle, die verletzt und verwundet werden an Leib und Seele.
Herr, unser Gott:
– Für alle, die gesehen und doch übersehen werden, die gehört und doch überhört, wahrgenommen und doch ignoriert
werden.
Herr, unser Gott:
– Für alle, die das Leid anderer sehen und Mitleid haben, die aufhelfen und unterstützen, barmherzig handeln und zum Nächsten werden.
Herr, unser Gott:
– Für alle, die im Leben und im Sterben hoffen, das ewige Leben zu erben, Geschenk deiner Barmherzigkeit und Liebe.
Herr, unser Gott:

Barmherzig bist du, Gott, bist uns mit Jesus unser Nächster geworden. Du hast Mitleid mit uns, verbindest unsere Wunden, bringst uns in die Herberge und sorgst für uns. Herr, unser Gott, du handelst barmherzig an uns. Gepriesen bist du in Ewigkeit. Amen.

Anmerkungen:

1 Bovon, F., Das Evangelium nach Lukas (Lk 9,51–14,35) (=EKK III/2). Zürich 1996, 99.
2 P. Franziskus, Letter of the Holy Father Francis to the Bishops of the United States of America, 10.02.2025 (https://www.vatican.va/content/francesco/it/letters/2025/documents/20250210-lettera-vescovi-usa.html).
3 Rüb, M., Es geht um die Liebe. J. D. Vances Kampf mit Papst Franziskus. In: FAZ 17.02.2025, 3.

Clemens Stroppel

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