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»Dienst am Wort«
Herausgeber
Leseprobe 2
25. Sonntag im Jahreskreis
Lesejahr B
Von Frevlern und Gerechten

Beitrag zur Lesung

Einführung
Dichter schaffen in ihren Dramen bestimmte Figuren, die uns unterschiedliche Charaktereigenschaften spiegeln sollen, die auch in uns selbst leben: Heldinnen und Helden, Gegenspieler, Vermittler, Intriganten. Es sind Typen wie Faust, Mephisto, Antigone…
Auch das Buch der Weisheit und verschiedene andere Bücher der Bibel kennen dieses Stilmittel. Eine der häufigsten Gegenüberstellungen in der alttestamentlichen Literatur findet sich im Vergleich des Frevlers mit dem Gerechten, man könnte auch sagen, des Gotteslästerers mit dem Frommen. Immer wieder reflektieren Texte den Unterschied zwischen diesen beiden Typen. Dazu gehört auch die vielfach variierte Erfahrung, dass es der Gerechte mit dem Frevler nicht leicht hat. Insbesondere der augenscheinliche Erfolg, den die Frevler mit ihrem Verhalten hatten, sowie die fehlenden Konsequenzen für ihre Verbrechen stellten den Glauben des Gerechten immer wieder in Frage. Wenn wir das Buch der Weisheit und seine Bedeutung, die es auch für den Glauben Jesu hatte, näher betrachten, können wir entdecken, wie aktuell diese Texte selbst heute noch sind. Auch wir stehen vor der Herausforderung, unsere Beziehung zu Gott lebendig zu halten.

Predigt

Zum Text: Weish 2,1a.12.17–20 (1. Lesung)

Der Gerechte und die Frevler im Evangelium

In dem Abschnitt aus dem Markusevangelium, das wir gerade gehört haben, spricht Jesus davon, dass er den Menschen ausgeliefert werden würde, dass sie versuchen würden, ihn zu töten. Noch scheint es für die Jünger schwer vorstellbar. Aber im Laufe des weiteren Weges Jesu und in seinen letzten Stunden begegnen wir den Spöttereien der Soldaten und der hohepriesterlichen Diener. Der Konflikt zwischen den Frevlern und dem Gerechten findet sich auch in den Darstellungen der Passion Jesu wieder. Zwei Beispiele möchte ich dazu kurz benennen, weil sie den Bogen vom Evangelium zur heutigen Lesung spannen können:
Im Verhör vor dem Hohen Rat schlagen die anwesenden Schergen Jesus, verhüllen ihm das Gesicht und fragen ihn: »Du bist doch ein Prophet! Sag uns, wer hat dich geschlagen?« (Lk 22,64)
Als Jesus am Kreuz hängt und stirbt, sagen sie zueinander: »Lasst uns doch sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt!« (Mk 15,36)

Das Denkmuster der Frevler

Wie sie sich doch gleichen, die Aussagen der Spötter! Für diesen Typ Mensch, wie ihn das Buch der Weisheit als Frevler beschreibt, ist Wehrlosigkeit ein Zeichen von Schwäche, ja von Gottverlassenheit. Wer unterliegt, den hat Gott auch aufgegeben. In ihrem Weltbild suchen sie nach dem einen angeblichen Beweis dafür, dass sie selbst etwas von dem nicht tun dürften, was sie anderen antun: Dieser eine angebliche Beweis scheint der Blitz zu sein, der in sie einschlägt oder das augenscheinliche Wunder, das den Gerechten aus ihren Fängen rettet.
Ähnliche Argumentationsweisen sind uns von sogenannten »Gottesurteilen« aus unsäglichen Hexenprozessen überliefert. Um herauszufinden, ob eine der Hexerei angeklagte Frau zu Recht verurteilt wurde, hat man sie beispielsweise in einem Käfig unter Wasser getaucht. Wenn sie das wider Erwarten überlebt haben sollte, dann schien ihre Schuld erst recht erwiesen.
Das Buch der Weisheit zeichnet eine geradezu zeitlose Charakterstudie, wie Menschen denken, die sich vom Typ des »Gerechten« provoziert fühlen, wie sie handeln, wie sie sich herausreden: »Es ist doch nur zur Probe, er hat doch behauptet, es werde ihm Hilfe gewährt.« Dabei legen sie selbst für sich fest, worin Gottes Hilfe läge: »Dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner.« Ihr scheinbarer Triumph heißt dann: »Seht doch, es geht: Wir haben Erfolg und werden nicht bestraft.«
Ihr Bild von Gott ist ein »deus ex macchina«, der auf die Bühne tritt und ihnen sprichwörtlich in den Arm fällt. Dabei wissen sie nur zu gut, dass es diesen Gott so nicht gibt. Sie erheben ihr Triumphgeschrei, weil es diesen Gott nicht gibt, sie sich aber auch keinen anderen – beispielsweise einen mitfühlenden – denken können oder wollen.

Was beim Gerechten anders ist

Der »Gerechte« vertraut aber gar nicht auf diesen von seinen Gegenspielern verspotteten Gott, weil es diesen für ihn auch nicht gibt. Zumindest ist das nicht unbedingt sein vorrangiges Verständnis von Gott. Er vertraut auf den Wert seiner Haltung selbst und auf das Mitgefühl und die Solidarität der anderen Menschen, vor allem aber zieht er Halt aus einem Vertrauen auf einen Gott, der sich im Scheitern und in der Wehrlosigkeit nicht von ihm abwendet.
Der »Gerechte« steht dem Tun der Frevler im Weg. Er macht nicht einfach mit. Er ist vielmehr ihr kritischer Zeuge, er ist der Einspruch gegen den Eindruck, dass »das doch alle so machen«. Der Gerechte hat keine Freude daran, jeden eigenen Vorteil zu nutzen. Er hält sich nicht schadlos am anderen. Er übervorteilt nicht und betrügt nicht. Er bezieht seine Identität nicht aus der Zugehörigkeit und der Beliebtheit in einer Gruppe, einer Organisation oder auch einer Nation. Er bezieht seine Identität, seinen Selbstwert, aus der Beziehung zu Gott. Der »Gerechte« wirkt auf die Frevler wie einer, der autonom ist, der sich nicht korrumpieren lässt, der sich ihrer Kontrolle entzieht, wie einer der nicht käuflich ist. Damit ist allein schon sein Dasein für sie ein Problem.
Die Versuchung, auch andere von Gott entfremden zu wollen
In ihrer Hybris meinen die Frevler, sie dürften selbst die Beziehung auf die Probe stellen, in der sich der »Gerechte« mit Gott verbunden sieht: »Jetzt wollen wir es doch einmal wissen! Lasst uns sehen, ob er wirklich an Gott festhält, wenn er unserer Macht ausgeliefert ist, wenn wir ihm zeigen, wie mächtig wir sind und wie ohnmächtig er trotz seines Glaubens ist.« Im Grunde ist es der Versuch, den »Gerechten« von Gott zu entfremden.
Woher kommt dieses Begehren? Was mag Menschen dazu motivieren, andere aus ihrer Beziehung zu Gott, aus ihrem Glauben entfremden zu wollen? Empfinden die Frevler, selbst von Gott, vom Geheimnis ihres Lebens entfremdet zu sein? Ist es diese Entwurzelung, die für sie jeden »Gerechten« zum Problem werden lässt?

Was es über uns erzählt

Wir können das Buch der Weisheit und die zwei Typen, den »Gerechten« und den »Frevler«, auch auf uns selbst hin deuten. Dabei ist es gar nicht so entscheidend, ob wir diese beiden Typen in Reinform unter uns entdecken. Vielleicht ist es sogar ehrlicher, wenn wir uns eingestehen, dass wir durchaus von beiden etwas in uns selbst entdecken können.
Zum einen ist es so leicht, sich von dieser Logik, von diesem Denkschema blenden zu lassen, nach der der Erfolg alles legitimiert. Wo begegnet uns diese Logik in unserem Denken, diese Versuchung des Arguments, was nicht direkt bestraft wird, sei erlaubt, oder die Tendenz, den ehrlichen und Arglosen als den Dummen hinzustellen. Doch es blendet den anderen aus, der den verborgenen Preis dafür bezahlen muss. Und es verändert allmählich die Kultur unseres Umgangs miteinander. Wir verlieren das Vertrauen ineinander. Aber das ist es gerade, woran sich die Frevler freuen: Sie nähren ihr Ego aus der Verunsicherung des Gerechten.
Zum anderen ist Rechtschaffenheit nicht nur stark und beruhigend. Sie kann auch gebrochen werden. Sie ist arglos und wehrlos wie ein Kind. Sie ist verbunden mit dem Gefühl der Unterlegenheit. Das muss man erst einmal aushalten können. Das lässt sich eher aushalten, wenn wir sie um ihrer selbst schätzen und uns von der Bestätigung durch andere frei machen können.
Drittens kann es helfen, sich klar zu machen, dass das Handeln und das Reden der Frevler eine vermeintliche Sicherheit und Überlegenheit nur vorgibt. Hinter der Fassade verbirgt sich möglicherweise eine tiefe Verunsicherung darüber, dass nicht alles in ihrer Macht steht. Die Frevler, die in ihrem Selbstwert zutiefst davon abhängen, welche Macht sie über andere ausüben können, sie werden durch den Gerechten auch an ihre eigene Entfremdung im Glauben erinnert.
Uns allen wünsche ich, dass uns diese Einsichten helfen, dem Gerechten in uns und unter uns Raum und Gastfreundschaft zu gewähren.

Fürbitten
Gott, es heißt, du seist Erbarmen, Du seist mitfühlend und den Gerechten und Wehrlosen ein Freund. Wir glauben daran, dass es so ist. Deshalb wenden wir uns voll Vertrauen an dich und bitten dich:

- Für diejenigen Menschen unter uns, die Opfer von Mobbing und Ausgrenzung geworden sind: Um Mitmenschen, unter denen sie sich sicher und akzeptiert fühlen können.
(Wir bitten dich, erhöre uns.)
- Für die Arbeitnehmer, deren Interessenswahrnehmung und deren Solidarität durch immer höheren Druck auf ihre Arbeitsplätze auf die Probe gestellt wird: Um Mut und Selbstwertgefühl.
Um die Opfer von Übervorteilung, Korruption und unfairen Strukturen in unserer Wirtschaft: Um Entschädigung und um die innere Stärke, nicht selbst zu unfairen Mitteln zu greifen.
- Für alle, die um des Gemeinwohls willen auf eigene Vorteile verzichten: Um Anerkennung für ihren Verzicht und um Solidarität.
- Für alle, die den Tod als große Anfrage ihres eigenen Lebens, als Verlust oder als Niederlage vor Augen haben und sich fragen, ob du sie im Tod noch kennst: Um Geborgenheit bei dir.

All diese Menschen empfehlen wir dir an. Schenke ihnen Trost und stärke sie in ihrem Glauben an dich. Amen.

Michael Begerow-Fischer

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